022 - Ich der Vampir
das Auto herum. Mit einiger Mühe schob er ihn auf den Rücksitz. Dann fuhr er hinter Franziska her, deren Rücklichter eben weit unten verschwanden.
Er war satt. Es war alles, was er brauchte – zur Vollkommenheit seiner Existenz. Der Blutdurst der Bestie war gestillt – für eine Weile. Menschliche Erinnerungen fluteten zurück. Aber sie waren verschwommen. Da war eine Spur von Mitleid für den Mann auf dem Rücksitz, aber er verstand bereits nicht mehr ganz, was Mitleid bedeutete.
Er jagte und wurde gejagt. Der Mann war seine Beute. Und der Fang war nicht schlecht, denn er hatte jetzt auch noch die Frau. Er konnte sie sparen für eine Zeit, da es schwieriger war, Opfer zu finden.
Gleichzeitig hatte er ein Gefühl, etwas Unrechtes, Schreckliches zu tun, aber er verstand nicht, warum und drängte das Gefühl beiseite.
Er kam in rascher Fahrt um eine Kurve und stieg heftig auf die Bremse.
Franziskas Wagen fuhr, wie von einem Betrunkenen gelenkt, im Zickzack über die Straße. Die Frau! dachte er. Sie muss Schwierigkeiten mit der Frau haben! Er gab Gas, bis er knapp hinter ihr war, aber es gelang nicht, sie zu überholen.
Gleich darauf sprang die rechte Wagentür auf, und eine Gestalt fiel in den Straßengraben und rollte ein Stück weit davon. Vick bremste hart und stieg aus. Er lief zurück und fand die fremde Frau. Sie war bewusstlos oder tot. Bevor er es feststellen konnte, ließ ihn ein Krachen herumfahren. Franziskas Wagen war von der Straße abgekommen und hatte sich auf halber Böschung zwischen zwei Bäumen verkeilt.
Rasch hob er die Frau auf und schob sie in den Wagen. Dann lief er zu Franziska. Sie kletterte eben aus dem Fahrzeug.
„Sind Sie heil?“
„Natürlich“, sagte sie, als wäre das selbstverständlich.
„Den kriegen wir nie allein hier ’raus“, stellte er fest.
Sie nickte. „Es ist zu spät, Hilfe zu holen.“ Sie warf einen prüfenden Blick zum Himmel. „Die Dämmerung ist fast da.“
„Max könnte ihn holen“, schlug er vor.
Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Das ist zu gefährlich. Jemand könnte ihn an der Tankstelle sehen und Fragen stellen. Wir werden ihn ein wenig zudecken und dann verschwinden.“
Sie tarnten den Wagen notdürftig mit Zweigen und Ästen und waren fast fertig, als das Geräusch eines startenden Wagens sie aufhorchen ließ.
„Die beiden!“ stieß Vick hervor und hetzte den Abhang hinauf, Franziska hinter ihm her.
Der Wagen rollte an. Er kam ihnen entgegen, wurde rascher. Vick erreichte die Straße und sprang hinter dem Wagen her, der wild kurvte. Er erreichte ihn und klammerte sich an die Tür, die jedoch verriegelt war, das Fenster hochgekurbelt. Durch das Glas sah er, dass der Mann sich auf den Fahrersitz gezwängt hatte. Die Frau lag hinten, wie er sie verlassen hatte.
Aus der Wunde am Hals des Mannes sickerte noch immer Blut. Er musste sehr geschwächt sein, denn er saß haltlos schwankend im Sitz, und es war ein Wunder, dass er den Wagen überhaupt auf der Straße halten konnte. Er schien seinen Peiniger zu bemerken, denn seine schläfrigen Augen weiteten sich mit einemmal, und er trat das Gaspedal durch. Der Wagen heulte auf und ruckte vorwärts, so dass Vick loslassen musste.
Hilflos sah Vick dem rasch entschwindenden Wagen nach. Er wartete, bis Franziska ihn eingeholt hatte.
„Was nun?“ fragte er.
„Die kommen nicht weit“, meinte Franziska. „Die Straße führt direkt vor Fräulein Katalins Haus. Es gibt nur die eine. Aber wir müssen uns beeilen. Es beginnt bereits zu dämmern.“
Vick blickte erschrocken zum Himmel. Tatsächlich, über den östlichen Hügeln zeichnete sich bereits der erste Hauch der Dämmerung ab.
„Wir müssen laufen!“ sagte sie mit einer Spur von Hysterie in der Stimme.
Sie begannen zu laufen, und bald lag der Ort im Tal vor ihnen. Motorlärm drang hoch, gleich darauf sahen sie den Wagen die Straße hochkommen. Er musste im Ort gewendet haben. Er kam mit solcher Geschwindigkeit, dass Vick jeden Gedanken aufgab, das Auto aufzuhalten. Sie sprangen beide von der Straße, als der Wagen vorbeiraste. Vick konnte gerade noch sehen, wie der Fahrer bleich und zusammengesunken über dem Lenkrad hing.
„Sie haben es geschafft“, stellte Franziska bedauernd fest.
Vick fühlte kein Bedauern. Es berührte ihn nicht. Eine Beute war entschlüpft. Er würde sich eben bei nächster Gelegenheit wieder auf die Jagd machen müssen. Etwas anderes beschäftigte ihn im Augenblick viel mehr:
Er spürte eine Müdigkeit,
Weitere Kostenlose Bücher