022
Mohnsaft, den der Arzt aus Mailand ihr gegeben hatte, eigenartig leicht an. Roger, der sich Glynis und den anderen Frauen widersetzt hatte und bei ihr geblieben war, hielt noch immer ihre Hand fest und glättete ihr das feuchte Haar. Vor dem schmalen Fenster untersuchten Glynis und der Arzt das Kind.
Zufrieden brachte Rogers Mutter den immer noch schreienden Säugling näher, damit Eleanor und Roger ihn sehen konnten. Von Gefühlen überwältigt, drückte Roger Eleanor die Hand und flüsterte: „Es ist eine Tochter, Lea. Wir haben eine Tochter." Eleanor machte die Augen auf und konnte kaum sehen, weil die Tränen ihr die Sicht nahmen. „Eine Tochter?" brachte sie schließlich flüsternd heraus. „Nein."
Sie konnte erkennen, dass Roger lächelte und gleichzeitig weinte. „Du bist nicht enttäuscht?" murmelte sie töricht. „Macht es dir nichts aus?"
„Nein, Liebste." Er nahm das Kind und hielt es Eleanor näher hin, damit sie es sehen konnte. „Sieh, Lea. Unsere Tochter ist eine Schönheit wie ihre Mutter. Wenn wir mit zehn solchen Töchtern gesegnet werden, dann würde ich sie alle lieben", verkündete er ehrlich. Er bemerkte Eleanors immer noch niedergeschlagen wirkende Miene und ahnte, dass sie dachte, sie habe versagt. „Nein. Ich schwöre, dass ich, wenn ich von deinen Ebenbildern umgeben sein sollte, Lea, glücklich und zufrieden sein werde."
„Aber ich wollte dir einen Erben schenken!" murmelte sie kläglich.
„Das hast du getan."
„Aber. . ."
„Sieh dir doch unsere Tochter an, Lea. Sieh sie dir an!" drängte er sie.
Seufzend wandte sie die Aufmerksamkeit dem Kind zu. Es hatte zu weinen aufgehört und starrte sie ernst an. Zögernd streckte Eleanor die Hand aus und berührte die winzige Nase und die Lippen. Das Kind sah klein aus, schien jedoch gesund zu sein.
Eleanor und das Kind musterten sich, derweil Roger wartete und zuschaute.
Schließlich verzog das Kleine das winzige Gesicht und gähnte. Langsam breitete sich ein Lächeln in Eleanors Gesicht aus. „Ja, unsere Tochter ist schön", befand sie leise.
„Das ist sie."
Sacht legte Roger ihr das Kind in die Armbeuge, neigte sich vor und küsste sie. „Ja, und sie gehört uns, Liebling."
„Wenn es dich wirklich nicht stört, dann stört es auch mich nicht." Sie drehte den Kopf, um das Kind besser sehen zu können, das weich und warm in ihrem Arm lag.
„Henry möchte der Pate unserer Tochter sein, Lea."
„Ich weiß. Das hat er mir an dem Tag gesagt, als wir auf dem Feld vor Burg Belesme warteten." Ihre Miene verdüsterte sich bei der Erinnerung an jenen schrecklichen Tag. „Henry hat gesagt, er werde für mein Kind einstehen, ganz gleich, was geschehen würde."
„Das ist ein für allemal vorbei, Liebste, und du musst nie mehr daran denken. Achte stattdessen lieber auf uns und das Kind." Als blicke er selbst in die Zukunft, streckte er die Hand aus und berührte den dünnen dunklen Haarflaum des Mädchens. „Was hältst du von Katharina als Vornamen?" fragte er beiläufig.
„Katharina? Aber ich hatte daran gedacht, unsere Tochter Glynis zu nennen", protestierte Eleanor.
„Nein." Rogers Mutter hatte sich neben das Bett gestellt und betrachtete ihre neugeborene Enkelin. „Nein, gib ihr einen glücklicheren Namen für ein glücklicheres Leben."
„Das ist deine Entscheidung, Lea. Ich habe an Katharina gedacht, der Heiligen wegen, die Zeuge meines Eids war, den ich dir in Nantes gegeben habe."
Der Säugling gähnte wieder und streckte die winzigen Fäuste aus. Schützend hielt Eleanor ihn fester im Arm und lächelte. „Ja, Katharina sollst du heißen, meine kleine Kate."
- ENDE -
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