0220 - Die Stunde der Ghouls
spritzten.
Es dünkte Zamorra eine halbe Ewigkeit, bis sie ihr Ziel erreichten. Schon auf den letzten Metern Fahrt hatte er seinen Plan generalstabmäßig entwickelt.
Er würde noch einmal versuchen, in die Höhle einzudringen. Vorher mußten die Spiegel stehen.
»… ich muß darauf achten, daß das Licht hindurchscheinen kann!« erklärte er. »Das Kabel mache ich diesmal am Gürtel fest. Wenn ich einmal fest ziehe, dann mußt du sehen, daß du mit dem großen Salonspiegel das Sonnenlicht direkt einfängst und es auf die Reise schickst. Ich springe dann in die Grabkammer, damit das Licht ungehindert eindringen kann.«
»Und wenn etwas schief läuft?« fragte Möbius. »Ich meine ja nur so…«
»Dann ziehe ich dreimal am Kabel und du kannst den Mercedes dann wieder als Traktor benutzen!« brummte Zamorra. »Los jetzt!«
Die Wagentüren schwangen auf und sie begannen hektisch, die Spiegel auszuladen.
»Wir müssen uns beeilen!« zeigte Zamorra in Richtung Sonne. »Sie geht bald unter. Dann war alles umsonst…«
Mit vereinten Kräften schafften sie die Spiegel in den Gang. Peinlich achtete der Parapsychologe darauf, daß zwischen ihnen eine Verbindung bestand.
Einen Fehler durften sie sich keinesfalls mehr erlauben. Der konnte jetzt unübersehbare Folgen haben.
Keuchend schleppte Carsten Möbius immer neue Spiegelplatten an und zerkleinerte sie mit einem eilig beschafften Glasschneider so, daß sie für den Zweck geeignet waren.
Langsam, wie ein Bergmann, schob sich Professor Zamorra vor. Schon drang das Keuchen und Schnarchen der Leichenfresser an sein Ohr. Und leise hörte er Ullichs Stimme.
»… gleich, Mädchen. Noch ein bißchen. Versuch’s noch einmal!«
Ganz klar. Der Blondschopf versuchte, dem großen Entfesselungskünstler Houdini Konkurrenz zu machen. Und anscheinend schien das zu gelingen.
Ob sie sich die ganze Arbeit hätten sparen können?
In diesem Moment hörte er von drinnen ein grollendes Geräusch.
Die Ghouls begannen zu erwachen…
***
Alle seine Kräfte legte Michael Ullich in den Ruck, mit dem er nun an den, von Tina Berner fast durchgenagten Fesseln riß.
Den ganzen Nachmittag hatte das Girl Leder gekaut. Es war die einzige Möglichkeit gewesen, wenn sie freikommen wollten. Weit hatte sie sich nach vorne beugen müssen, um die Handfesseln Ullichs zu erreichen, die ungefähr bis in Höhe ihrer Brust geschoben wurden. Die Angst vor dem Kommenden verlieh ihr eine grenzenlose Ausdauer, auch wenn sich alles in ihr zusammenzog.
Quälender Durst peinigte die beiden. Aber sie mußten durchhalten.
Und jetzt, gerade jetzt, wo das Werk fast getan war, da erwachten die Bestien wieder. Jetzt war die Stunde gekommen, wo sie sterben sollten.
Peitschend sprangen die Fesseln, die Michael Ullichs Handgelenke gebunden hatten. Mit fliegenden Fingern, die schmerzenden Handgelenke nicht achtend, löste er die anderen Knoten.
Mit einem Ruck riß er Tina Berner zu sich empor.
Sie war frei. Aber des Ausgang war versperrt. Denn jetzt waren sie erwacht. Schnaufend und prustend rappelten sie sich empor. Geltje Augen glühten bösartig.
Die beiden Menschen wichen bis in die hinterste Ecke des Grabes zurück. Michael Ullich schob Tina hinter sich und hob die Arme. Die Hände waren zu Fäusten geballt.
Hechelnd und sabbernd kam es näher.
Dann schien der Junge förmlich zu explodieren. Die Fäuste zuckten vor und fanden ihr Ziel. Heulen und Jaulen war die Antwort.
Wie ein Wolfsrudel griffen sie an. Unter dem geballten Ansturm ging Michael Ullich zu Boden. Schmerzhaft gruben sich Krallen in sein Fleisch, während er mit seinem eigenen Körper Tina Berner schützte.
»Jetzt - jetzt ist es aus!« dachte er, als ein flammender, aufgerissener Rachen sich seiner Kehle näherte.
Aber der Schmerz des Bisses blieb aus.
Statt dessen durchzitterte ein Quietschen die Höhle.
»Zamorra!« stöhnte Ullich dankbar.
Hinter der in sich zusammenfallenden Gestalt des Ghouls erkannte er die markante Figur des Parapsychologen, der das Ungeheuer mit dem Amulett berührt hatte.
»Jetzt, Carsten!« hörte er den Franzosen brüllen.
Sie wußten nicht, was er damit meinte. Sie konnten nicht ahnen, daß Carsten Möbius verzweifelt bemüht war, außerhalb der Höhle die Spiegel so zu richten, daß er die Sonnenstrahlen in den dunklen Schacht leiten konnte.
Die Sonne schien nur so vom Himmel zu fallen. Nur noch wenige Minuten und der Glutball würde hinter den Felsen verschwunden sein. Dann konnte nichts, gar nichts
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