0221 - Der Todessee
hindern.
Die anderen Ärzte schauten kaum auf, als wir den größten Raum durchquerten. Mich interessierte nicht, womit sie beschäftigt waren, ich sah stur geradeaus.
Meine Spannung stieg. Der Arzt und Sir James unterhielten sich.
Die Worte verstand ich nicht. Trotz der Kühle sammelte sich auf meinem Rücken ein dünner Schweißfilm.
Dann betraten wir einen kleineren Raum, der ebenfalls von Leuchtstoffröhren erhellt wurde. Hier war unser Ziel.
Neben der Tür blieb ich stehen. Ich sah die Schubfächer an der linken Seite, die vom. Boden bis zur Decke reichten. In ihnen wurden die Toten so lange aufgebahrt, bis es zu einer Obduktion kam.
Ich spürte Sukos Hand auf meinem Arm. »Ich glaube, daß sie es nicht ist«, flüsterte der Chinese.
Sir James hatte die Worte trotzdem vernommen. Er schaute uns an, runzelte die Stirn, gab ansonsten keinen Kommentar. Der Arzt trat nicht an ein Schubfach heran, sondern wandte sich dem mitten im Raum stehenden Holztisch zu.
Sir James drehte den Kopf und winkte Suko sowie mich herbei.
Die beiden Schritte, die mich vom Tisch trennten, legte ich schleppend zurück.
Eine graue Decke aus sterilem Plastik verdeckte das, was auf dem Tisch lag. Der Arzt hielt die Decke bereits mit einer Hand fest und wartete nur auf das Zeichen.
Sir James nickte.
Mit einem Ruck zog der Arzt die Decke weg!
***
Karen White hörte den Schrei wie aus unendlicher Ferne. Als wäre er in einer anderen Dimension geboren worden, um durch die unermeßliche Ferne des Weltalls zu eilen, wobei er dennoch ein Ziel fand, immer lauter wurde und in Karens Gehirn explodierte.
Sie wurde wach.
Dieser Schrei hatte sie aus tiefstem Schlaf gerissen. Ihr kam es vor, als hätte man sie mit kaltem Wasser begossen, und sie war sofort da, fand sich auch zurecht, denn im Gegensatz zu Jill brauchte sie keine Zeit, um sich zu orientieren.
Ihr Blick glitt nach links.
Jills Schlafsack war leer!
Sofort dachte Karen an den Schrei, den sie gehört hatte, und sie folgerte, daß nur Jill ihn ausgestoßen haben konnte. Karen verlor keine Sekunde. Sie zog den Reißverschluß des Schlafsacks auf, klappte beide Hälften zur Seite und rollte sich nach draußen.
Dann stand sie auf und schaute zum See, weil sie ihre Freundin dort vermutete.
»Jill!« rief sie, wobei ihre Stimme zitterte, denn sie konnte ein Gefühl der Panik nicht unterdrücken.
Eine Antwort bekam sie nicht. Die dunklen Mauern der unheimlich wirkenden Ruine schwiegen.
Karens Herz klopfte hart, in ihre Augen legte sich ein ängstlicher Ausdruck, und sie biß sich so hart auf die Lippe, daß sie Schmerzen verspürte.
Noch einmal rief sie den Namen.
Als sie wieder keine Antwort bekam, dachte sie an den See, drehte sich hastig um, und in diesem Augenblick geschah es.
Plötzlich sah Karen White, was mit ihrer Freundin geschehen war.
Die bläuliche Nebelspirale auf dem Wasser nahm sie kaum wahr.
Sie interessierte sich nur dafür, was vor dieser Nebelwand alles geschah. Und dort kämpfte Jill Livingstone um ihr Leben.
Ein Monster hatte sie gepackt!
»Nein, nein!« keuchte Karen. »Ich werde verrückt, ich drehe noch durch! Jill…!« Ihr Ruf hallte über das Wasser, wurde vielleicht auch von Jill vernommen, aber sie konnte nichts tun.
Mit der Wucht eines Dampfhammers war sie aus dem Wasser geschleudert worden. Das Untier hatte sich unter Wasser gedreht, aber sein langer Schwanz umklammerte noch immer die Hüften des Mädchens. Jill schoß aus den Fluten, ihr Gesicht war eine Maske des Entsetzens, der Mund weit aufgerissen, sie schrie und keuchte in einem, drehte sich, wollte aus dieser Umklammerung und wurde wieder zurück in das Wasser geschleudert, wobei das Untier sie ein paar Yards in die Tiefe zog, sie dann losließ, mit ihr spielte, wie eine Katze mit der Fliege, und erneut hart zugriff.
Diesmal allerdings nicht mit dem Schwanz, sondern mit seinen Krallen. Das Untier hatte relativ kurze Arme, die mit grünblauen Schuppen besetzt waren: Die Arme selbst mündeten in zwei Hände, die man nur noch als gefährliche Krallen bezeichnen konnte, denn die Enden der Finger waren spitz wie Messer.
Und die griffen zu.
Jill spürte, wie sie sich in ihren Oberschenkel bohrten und sie selbst wieder aus dem Wasser geschleudert wurde, und zwar so, daß sie in Richtung Ufer schauen konnte, wo Karen White, ihre Freundin, stand und das grauenhafte Geschehen mit anschauen mußte.
Jill brüllte!
Ihre Angst- und Schmerzensschreie hallten durch die stille Nacht zerrissen
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