0221 - Satans Tagebuch
alles anders. Hier hatte er es nicht mit dem Unheimlichen, sondern mit einem Menschen zu tun, noch dazu mit einem Engländer, dem traditionellen Erzfeind der Grafschaft Wales.
Die beiden ungleichen Männer rangen in der Dunkelheit.
Schließlich gelang- es dem keuchenden Landstreicher, das Buch zu erwischen. Doch Steddler ließ nicht los. Seine Hände waren wie mit dem Einband verwachsen. Voller Wut starrte Steddler seinen Gegner an.
Das Buch schimmerte in der Dunkelheit, leuchtete förmlich und warf seinen Schein auf das Gesicht des Londoners, es glich mehr und mehr der verzerrten Fratze eines Wahnsinnigen. Speichel rann ihm aus den Mundwinkeln.
Unwillkürlich schreckte der Landstreicher vor dem tobenden Mann zurück, der plötzlich ungeheure Kräfte entwickelte. Er hatte den Londoner unterschätzt, aber jetzt war es zu spät.
Er ließ das Buch los.
Es rettete ihn nicht mehr. Steddlers Wut hatte Kräfte geweckt, die zwischen den Seiten des Buches verborgen waren… Und diese Kräfte richteten sich gegen Steddlers Gegner.
Der aus dem Nichts emporschießende Schmerz ließ den Landstreicher aufschreien. Eine glühende Hand verkrallte sich in ihm und bahnte ihren Weg durch seinen Körper.
Sich windend vor Schmerz wälzte der Mann sich auf dem schmutzigen Boden. Wild schlug er um sich. Dann wandelte sich sein Schreien in Wimmern und verstummte bald. Gleichzeitig hörten seine Bewegungen auf.
In seinen brechenden Augen spiegelte sich die Fratze Fred Steddlers, dessen Gesicht nur langsam wieder normale Züge annahm…
***
Bedächtig dirigierte Asmodis das Taxi durch die belebten Straßen des abendlichen Roms. Er hatte dem Fahrer keine genaue Adresse angeben können. Selbst dann nicht, wenn er es gewollt hätte. Denn sein Ziel existierte nicht auf Réms Stadtplan.
Nach geraumer Zeit erreichten sie das Zielgebiet. Autoschlangen hielten das Taxi immer wieder auf. Hupen gellten durch den Verkehr, Bremsen kreischten, wenn nach einem Kurzspurt wieder eine Stockung eintrat. Roms Cityverkehr war das personifizierte Chaos. Nur Neapel war in dieser Hinsicht noch schlimmer.
Die Straßen wurden enger. Die Häuser waren alt und verfallen. Die Abgase der Autos fraßen unermüdlich an den Fassaden der Häuser und Bauwerke vergangener Zeiten, so daß sich die Stadträte bereits mit dem Gedanken beschäftigten, bestimmte Bezirke für den Autoverkehr zu sperren, um den Zerfall der klassischen Bauten zu stoppen.
Doch hier - in Asmodis’ Bereich -kam der unaufhaltsame Verfall von innen.
Der Taxifahrer hatte immer geglaubt, die Stadt gut zu kennen. Asmodis bewies ihm das Gegenteil.
Ein kalter Schauer rann dem Fahrer über den Rücken, als sie sich durch die engen Gassen wanden. Hier war er in seinem ganzen Leben noch nie gewesen, und es gefiel ihm hier auch gar nicht. Santa Maria!
»Ist es noch weit, Signore?« fragte er seinen seltsamen Fahrgast unsicher.
Asmodis lächelte. »Wir haben es bald geschafft, keine Sorge.«
Hohe Häuser warfen ihre dunklen Schatten in die engen Straßen, die menschenleer waren. Alles wirkte verlassen und aufgegeben, tot. Viele der Fenster wurden von hölzernen Läden verschlossen. Dennoch hatte der Fahrer das Gefühl, von unzähligen Augen beobachtet zu werden. Er spürte die unheilige Gier, die hinter den imaginären Blicken lauerte.
Verzweifelt sehnte sich der junge Römer in die strahlende Helligkeit der belebteren Stellen der Stadt zurück. In die beleuchteten Piazze und die breiten, menschenwimmelnden Straßen. Ein Seufzer der Erleichterung durchfuhr, ihn, als der Dämon endlich Halt gebot.
Der Herr der Schwarzen Familie weidete sich an der Furcht des Fahrers, und mit seinen dämonischen Kräften schürte er sie noch.
Amüsiert lächelnd drückte er ihm einige hochwertige Lirascheine in die Hand. Der Römer stammelte ein »Grazie, Signore«, stopfte das Geld ohne zu zählen in die Hemdtasche und gab Gas. Mit quietschenden Reifen bog er um die nächste Ecke, als sei der Satan persönlich hinter ihm her.
Aber der stand ganz ruhig da und genoß die Atmosphäre des Unheimlichen. Für ihn war sie ein Labsal.
Er hatte sein Ziel erreicht.
Er schritt auf ein Gebäude zu, das sich kein bißchen von den anderen Häusern dieses Blocks unterschied. Es war ein mehrstöckiger, wuchtiger Bau aus dem siebzehnten oder achtzehnten Jahrhundert. Asmodis stieg die drei Stufen bis zum Portal hinauf. Ein goldener Klopfer hing auf dem Holz, das auch schon bessere Tage gesehen hatte. Es mußte uralt
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