0228 - Ratten-Tanz
weg!«
»Hm«, brummte Maidonnes und angelte in seiner Tasche wieder nach einer Zigarre. »Und hier haben sie also gehockt… wissen Sie zufällig noch, wohin die Ratten blickten?«
Jules Giscaux glaubte schon wieder auf den Arm genommen zu werden. Er spielte Auster und schwieg sich aus.
»Jules, wollen Sie es mir nicht doch verraten?« fragte Maidonnes leise. »Sahen die Ratten zum Haus, oder zu Ihnen?«
»Zum Haus!« platzte Giscaux jetzt doch heraus. Und dann wunderte er sich, warum Maidonnes noch heftiger an seiner frischen Zigarre sog und sich immer wieder den Bart strich.
»Es kann sein, daß Sie mir mehr geholfen haben, als Sie ahnen«, sagte der Kommissar nach einer Weile. »Aber wenn Sie das Grundstück jetzt verlassen, nehmen Sie doch bitte den Weg und die Pforte. Es gehört sich nicht, über anderer Leute Zäune zu springen…«
Und er sah das Gerede Madame Piquets plötzlich in ganz anderem Licht!
***
Claudine Piquet erwachte. Sie zitterte leicht; es war kühl. Vorsichtig öffnete sie die Augen und stellte fest, daß sie in einer Art Grotte lag. Eine Erdhöhle, in der es feucht und muffig roch. Vom Eingang her fiel Tageslicht ins Höhleninnere.
Sie wollte auffahren, schreien, aber sie kam nicht hoch. Sie war gefesselt, und irgendwer hatte sie in eine Decke gewickelt. Aber sonderlich warm war die Decke auch nicht, und außerdem stank sie.
Immerhin - man hatte sie nicht geknebelt. Das war schon etwas. Aber warum war sie hierher gebracht worden?
Und von wem? Die Rattenmenschen! Die Männer mit den Rattenköpfen, und da war noch die echte Ratte mit ihrem riesigen Schädel…
Plötzlich verdunkelte sich der Höhleneingang. Ein hochgewachsener Mann in dunkler Kleidung kam vornübergebeugt herein. »Ah, du bist ja wach«, stellte er fest und setzte sich neben Claudine auf den Lehmboden. »Alles okay?«
»Ich glaub’, mein Gebiß quietscht!« fauchte Claudine. »Losbinden, sofort!« Sie wand sich in der Decke hin und her und versuchte sich herauszurollen.
Der Mann schüttelte den Kopf. »Kommt gar nicht in Frage. Und du solltest dich nicht auswickeln. Sonderlich viel hast du nämlich nicht an.«
»Mistkerl«, zischte Claudine. »Wer bist du, und was soll das alles? Was versprecht ihr euch von dem Überfall? Meine Eltern können kein Lösegeld zahlen. Und was sollte überhaupt der Quatsch mit den Rattenmasken?«
Der Mann lächelte, griff in die Brusttasche und holte die flache Packung hervor. »Zigarette?« fragte er.
Claudine wehrte ab.
»Auch gut«, brummte er. »Du kannst mich Rogier nennen. Masken, meinst du also. Ja, dann mein mal weiter…« Er zündete sich eine Zigarette an und blies Rauchringe in die Luft.
»Was habt ihr mit mir vor?«
»Wir bringen dir gleich etwas zu essen«, sagte Rogier. »Du sollst uns ja nicht vom Fleisch fallen. Hast du besondere Wünsche? Wir besorgen alles, vorausgesetzt, es handelt sich um Fleisch.«
»Idiot!« zischte Claudine.
»Du besitzt eine phänomenale Intelligenz«, sagte Rogier und stand wieder auf. »Alles, was du hervorbringst, sind Fragen nach dem Sinn unserer Aktion und Beschimpfungen.«
»Wenn du mich nicht losbinden willst, dann geh zum Teufel!« schrie Claudine.
Rogier drehte sich im Höhleneingang um.
»Von da«, sagte er freundlich, »komme ich ja gerade.«
***
Kommissar Maidonnes blieb noch eine Weile im Vorgarten stehen, während Jules Giscaux davonradelte. Die letzten Schaulustigen verzogen sich auch endlich. Sie hatten genug an den eigenen Kochtöpfen zu tun und zudem schon jetzt eine Menge Gesprächsstoff. Maidonnes lächelte. Zumindest blieben ihm heute die Reporter erspart. Sonderbarerweise war keiner von den Pressefritzen hier, die sonst immer ganz »zufällig« auftauchten.
Hoffentlich bleibt es so, dachte Maidonnes, und hoffentlich mißt die Presse diesem Fall nicht die gleiche Bedeutung bei wie ich… sonst geht hier schon morgen alles drunter und drüber…
Ihm ging das Bild nicht mehr aus dem Sinn, das er in Alexander Piquets Augen sehen mußte: den riesigen Rattenkopf.
Der nicht auf einem Rattenkörper saß, sondern auf dem Hals eines Menschen…
Fast hätte er noch an Masken geglaubt, aber seit jetzt Jules auch noch Ratten sah… und Jules Giscaux hatte nicht den Verstand verloren wie Louise Piquet. Also mußte doch etwas dran sein.
Maidonnes schlenderte über den Rasen, betrachtete in Gedanken versunken die Blumenbeete und umkreiste dabei auch das Haus. Seine flinken Äugelein waren überall, nichts entging ihm.
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