023 - Im Zeichen des Boesen
dann, was sie von dir will?«
»Sie zeichnet mir immer alles auf. Von Zeit zu Zeit komme ich ins Schloß. Wenn ich einen Zettel vorfinde, auf dem Holzstücke aufgezeichnet sind, dann weiß ich, daß ich Holzscheite heranschaffen soll. Braucht die Gräfin für einen ihrer Gäste eine Partnerin, dann zeichnet sie mir ein nacktes Mädchen auf. Hihihi!«
»Kommt es dir nicht seltsam vor, daß sich dir die Gräfin niemals zeigt?«
Vukujev senkte den Blick.
»Am Anfang hat mich das gekränkt, weil ich glaubte, ich sei ihr zu wertlos, aber jetzt weiß ich, daß es nicht so ist.«
»Wie hast du das herausgefunden?«
»Sie sprach einmal zu mir.«
»Und dabei hast du sie auch nicht gesehen?«
»Nein.« Vukujev runzelte die Stirn. »Ihre Stimme kam damals von ganz nahe. Sie hat gesagt, daß sie nicht wüßte, was sie ohne mich tun sollte, und daß sie mich braucht. Aber sehen konnte ich sie nicht. Das stört mich jetzt nicht mehr. Ich habe mich daran gewöhnt.«
Dorian kam ein phantastischer Gedanke. War es möglich, daß die Hexe Vukujev seines kranken Geistes wegen mied? Hatten sich nicht auch seine Brüder darum bemüht, einen möglichst großen Abstand zu Vukujev zu halten, als er sie zum Schloß hinaufführte?
Konnte es sein, daß alle Dämonen die Geistesgestörten mieden, weil diese eine besondere Ausstrahlung besaßen?
»Vukujev«, sagte Dorian bedächtig, »als du vorhin im Korridor warst, ist dir da nichts aufgefallen?« »Ich habe Sie gesehen, Herr«, sagte Vukujev verständnislos. »Und als Sie sich aus dem Fenster stürzen wollten, da hielt ich Sie zurück. Warum wollten Sie das tun?«
»Ich wurde verfolgt«, antwortete Dorian.
»Hast du nicht bemerkt, daß mich eine Meute schrecklicher Gestalten verfolgte?«
»Ich habe Lärm gehört, so wie jetzt auch«, sagte Vukujev, »aber als ich nachsehen ging, da waren nur Sie draußen, Herr.«
Also sind die Dämonen vor dem Irren geflüchtet, dachte Dorian. Beinahe wünschte er sich, den Verstand zu verlieren, um von all dem Schrecken um sich nichts zu wissen. Aber das wäre eine nicht gerade befriedigende Lösung gewesen. Er mußte nur diese eine Nacht überstehen; bei Tage würde er den Kampf gegen die Dämonen mit allen Mitteln aufnehmen. Doch diese Geschöpfe der Finsternis würden wohl alles tun, damit er den nächsten Morgen nicht erlebte.
»Du hast gesagt, daß du Anja magst, Vuk. Stimmt das?«
»Ich habe nicht gelogen.«
»Wenn sie dir etwas bedeutet, dann weichst du diese Nacht nicht von ihrer Seite«, sagte Dorian beschwörend. »Sie ist in großer Gefahr, doch solange du bei ihr bleibst, passiert ihr nichts. Wenn du jedoch aus diesem Zimmer gehst, dann wird etwas Furchtbares mit ihr geschehen.«
Vukujev starrte ihn ängstlich an und wischte sich mit dem Handrücken den Speichel von den Lippen.
»Ich darf nicht bleiben«, sagte er unsicher. »Anja ist für den Fürsten bestimmt, und solange ich mich hier aufhalte, wird der Fürst nicht erscheinen.«
»Genau das soll erreicht werden. Der Fürst muß von diesem Raum ferngehalten werden«, erklärte Dorian. »Vor ihm mußt du Anja beschützen, denn er hat Böses mit ihr im Sinn.«
Es hätte keinen Sinn gehabt, Vukujev zu erklären, daß es sich bei dem Fürsten der Finsternis wahrscheinlich um das Oberhaupt aller Dämonen handelte; es wäre auch sinnlos gewesen, ihn über die Vorgänge beim Hexensabbat aufzuklären.
Besser war es, seine Instinkte anzusprechen, und da Vukujev dem Mädchen gegenüber eine starke Zuneigung zu empfinden schien, war es am wirkungsvollsten, an seinen Beschützerinstinkt zu appellieren.
»Aber was wird die Gräfin sagen?« wollte er wissen.
»Ich werde morgen selbst mit ihr sprechen und ihr alles erklären«, versicherte Dorian. »Im Augenblick ist nur wichtig, daß du nicht aus dem Zimmer gehst, damit der Fürst nicht an Anja herankommt.«
Vukujev schluckte. Seine Hände zitterten.
»Ich – habe Angst, allein hierzubleiben, Herr«, sagte er.
»Ich werde dich nicht verlassen«, versprach Dorian. »Wir werden beide über Anja wachen.«
Damit war Vukujev einverstanden und Dorian war ebenfalls zufrieden. Er hatte die Dämonen überlistet. Sie waren ihm ganz nahe, aber solange der Irre in seiner Nähe war, kamen sie nicht an ihn heran.
Dorian dachte an Lilian.
Ob sie in der Gruft wohl in Sicherheit war? Vielleicht wäre es besser, sie ebenfalls nach oben zu bringen. Er überlegte sich, wie er sie aus der Familiengruft fortschaffen konnte, aber er war so müde,
Weitere Kostenlose Bücher