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0230 - Im Land der Unheils

0230 - Im Land der Unheils

Titel: 0230 - Im Land der Unheils Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang E. Hohlbein
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nichts als eine Illusion. Aber irgend etwas sagte ihm, daß diese Illusion ebenso tödlich wie die Realität sein konnte.
    Er ging langsam zu der Truhe hinüber, blieb einen Moment reglos davor stehen und zog dann abermals seine Waffe.
    »Was ist das?«
    »Der Schatz«, antwortete Nicole tonlos. Ihre Stimme vibrierte, als kämpfe sie mit aller Macht dagegen an, nicht in hysterische Schreie auszubrechen. »Die Spielregeln… Wenn du ein… ein Ungeheuer besiegst, findest du einen Schatz.«
    Zamorra runzelte die Stirn, schob die Schwertspitze in den Spalt zwischen Deckel und Truhe und bewegte sie. Der Deckel schwang lautlos auf.
    Die Truhe war bis zum Rand mit Goldstücken gefüllt. Zamorra blickte einen Moment irritiert auf den Inhalt des Gefäßes, ging dann in die Knie und streckte vorsichtig die Hand aus.
    Es war tatsächlich Gold. Hunderte von schweren, runden Münzen. Sie mußten ein Vermögen wert sein.
    Er nahm zögernd eine der Münzen heraus, steckte sie ein und wühlte mit den Fingern in der Truhe herum. Etwas Glattes, Kaltes war unter der Schicht goldener Münzen vergraben. Er legte das Schwert griffbereit neben sich auf den Boden, suchte mit beiden Händen in der Truhe herum und forderte schließlich eine faustgroße, glasklare Kristallkugel zutage.
    »Was… was ist das?« sagte er erstaunt.
    »Die Kristallkugel«, murmelte Nicole. »Sie ermöglicht dir einen Blick in den nächsten Saal. Aber nur… einmal.«
    Zamorra richtete sich auf und wog die Kugel nachdenklich in den Händen. »Liegen diese Dinger in jeder Halle?«
    »Ich weiß es… nicht«, antwortete Nicole stockend. »Ich weiß überhaupt nichts mehr. Mein Gott, Zamorra, das ist doch alles… Wahnsinn. Es ist doch nichts als ein Spiel! Ein verdammtes Spiel, und wir kämpfen hier um unser Leben.«
    Zamorra antwortete nicht. Es gab Situationen, in denen es besser war, nicht nachzudenken. Alles, was er wußte, war, daß sie den ominösen Schatzkeller auf der untersten Sohle des Labyrinths erreichen mußten. Alles andere war egal.
    Er schob die Kugel zu der Münze in die Tasche, ging zu Nicole zurück und half Bill auf die Füße. »Gehen wir weiter.«
    Bill schien irgend etwas antworten zu wollen, aber er kam nicht mehr dazu. Zamorra fuhr plötzlich herum, als er hinter seinem Rücken ein leises, scharrendes Geräusch hörte.
    Unter einem der Stollenausgänge war eine Gestalt erschienen. Es war ein Mann; ein alter, bärtiger, langhaariger Mann in einem Gewand, das Zamorra entfernt an eine Mönchskutte erinnerte. Er stand wie aus dem Boden gewachsen da, sah Zamorra und die anderen an und lächelte verzeihend, als Zamorra drohend seine Waffe hob.
    »Das war eine bewundernswerte Leistung«, sagte er anerkennend. »Wirklich. Den wenigsten gelingt es, mit der Wächterin fertig zu werden, ohne einen der ihren opfern zu müssen. Meine Gratulation.«
    ***
    Das Zimmer war wieder leer. Nicht nur der Fremde, auch seine wenigen Gepäckstücke, die er ohnehin nur zur Tarnung mitgebracht hatte, waren verschwunden, ebenso verschwunden, wie die Erinnerung daran, daß es ihn jemals gegeben hatte, aus dem Gedächtnis des Hotelportiers und des übrigen Personals gelöscht war.
    Nur das Spielbrett stand noch auf dem Tisch. Aber es hatte sich verändert. War es vor Augenblicken nicht mehr als ein flacher, buntbedruckter Karton gewesen, so bot es sich jetzt als winziges, dreidimensionales Abbild des wirklichen Labyrinthes dar, präzise nachgeformt bis ins winzigste Detail. Die vier Figuren waren zu eigenständigem Leben erwacht und hasteten wie winzige, lebende Menschen über die mikroskopisch kleinen Stufen.
    Ihr Weg führte geradewegs zu der Kammer, die der Fremde vorhin berührt hatte…
    ***
    »Wirklich«, fuhr der Alte ungerührt fort. »Eine beachtenswerte Leistung. Ich kann das beurteilen, wirklich. Ich habe genug Erfahrung darin.« Er schüttelte den Kopf, seufzte und kam ein paar Schritte näher.
    »Wer… wer sind Sie?« fragte Zamorra. »Und wie kommen Sie hierher?«
    Der Alte lächelte. Aber es wirkte traurig, traurig und ein wenig resigniert. »Wie ich hierherkomme?« wiederholte er, während er gleichzeitig weiter näherkam, ohne das Schwert in Zamorras Hand mit mehr als einem nachlässigen Seitenblick zu beachten. »Ich vermute, auf die gleiche Weise wie Sie und Ihre Freunde. Es gibt nur einen Weg, das Verlies zu betreten. Und wer ich bin?« Erneut schüttelte er den Kopf. »Ich bin schon so lange hier, daß ich mein früheres Leben fast vergessen habe.

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