0231 - Das System der Verlorenen
Masse des Planeten KULLOCH hatte die Gravisphäre der Doppelsonne für immer verlassen und bewegte sich auf Trägheitsbahnen durch die Weite des Leerraums. Zwei Drittel waren zurückgeblieben. Trümmerstücke von der Größe von Planetoiden größten Durchmessers bis herab zum mikroskopischen Gesteinssplitter. In allen möglichen Bahnen umliefen sie das Zwillingsgestirn und bildeten eine Planetoidenhülle von weitaus größerer Mannigfaltigkeit als der Asteroidenring der irdischen Sonne. Es sah aus, als wollten sie die beiden Sonnen vor jedem weiteren fremden Zugriff schützen. Das Raumschiff, das es wagen sollte, in das Gewirr von Trümmerstücken einzudringen, hatte nicht viel Aussicht, unbeschädigt wieder hervorzukommen.
Zu der Zeit, als das größte Bruchstück des verschwundenen Planeten, ein Felsklotz von rund achtzig Trillionen Tonnen, seine fünfhundertste Umdrehung um die Doppelsonne beendet hatte, hatte das System seine ursprüngliche Stabilität wieder erlangt. Von jetzt an waren die Umlaufbahnen vorgeschrieben, die Sonnen veränderten ihre Dichte nicht mehr, und wenn nicht ein zweites Ereignis von ähnlich katastrophaler Wirkung wie das erste eintrat, würden das Zwillingsgestirn und ihre Milliardenschar von Satelliten weiterexistieren, bis der langsame Gang der stellaren Evolution ihrem Dasein ein Ende setzte.
*
Nach den Gesetzen der konventionellen Physik ist es außerordentlich schwierig, ein bestimmtes Ereignis auf dem Kalender eines weit entfernten Historikers zu fixieren. Explodierte die irdische Sonne in diesem Augenblick, dann wüßte der Beobachter auf der Erde innerhalb von acht Minuten, was geschehen war. Der Astronom auf einem der Planeten des Andromeda-Nebels jedoch - selbst wenn er den Vorgang beobachten könnte - bliebe mehr als anderthalb Millionen Jahre lang im unklaren.
Die Regeln der Hyperkontinuumsmechanik, so kompliziert sie auch sein mögen, erlauben eine universellere Deutung des Phänomens Zeit. Indem sie die Grenzen des vierdimensionalen Einstein-Kontinuums ausklammern, machen sie es möglich, alle Ereignisse innerhalb des Einstein-Kosmos von einer übergeordneten Warte zu betrachten und jedem einzelnen einen fest bestimmten Punkt auf einer einheitlichen Zeitskala beizumessen.
Von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet, ereignete sich die Vernichtung des Planeten KULLOCH rund eintausend Erdjahre vor dem im folgenden Geschilderten.
1.
„Sergeant?"
Herb Bryan stand verlegen unter der Öffnung des Schotts, die seine massige Gestalt fast völlig ausfüllte.
„Sir, ich wollte fragen, ob Sie einen Augenblick Zeit für mich hätten."
Leutnant Conrad Nosinsky saß, mit einem Stapel von Papieren beschäftigt, vor dem kleinen Schreibtisch, den er wider alles Reglement dem sonst so spärlichen Mobiliar seiner Kabine hinzugefügt hatte.
„Kommen Sie rein. Herb", winkte er Bryan freundlich zu. „Da steht ein Stuhl, nehmen Sie Platz."
Bryan gehorchte. Das Schott schloß sich selbsttätig. Nosinsky schob die Papiere beiseite. „Was gibt's, Herb?" Der Sergeant zeigte auf den Bildschirm, der hinter dem Schreibtisch in die Wand eingelassen war.
„Sie haben den Rolladen unten, Sir."
Nosinsky bedachte ihn mit einem verwunderten Blick.
„Deswegen sind Sie hierhergekommen?"
Bryan schüttelte den Kopf. Inzwischen hatte Nosinsky einen Knopf auf der am Rand des Schreibtischs befestigten Schaltleiste gedrückt. Der Bildschirm leuchtete auf und zeigte einen Ausschnitt der Landschaft des Planeten Kahalo. Das ruhige, farbentreue Bild erzeugte die vollkommene Illusion eines Fensters, durch das der Betrachter unmittelbar ins Freie sah.
„Nein, Sir", antwortete Bryan. „Aber sehen Sie sich das an!"
Nosinsky drehte sich um und schaute auf den Bildschirm. Die CREST II lag auf der weiten Ebene südlich des Pyramiden-Sechsecks. Das Bild zeigte die Kugelformen einiger kleinerer Raumschiffe und weit im Hintergrund die kürzlich errichteten Gebäude der Hafenverwaltung von Kahalo. Das Landefeld bestand zum größten Teil aus hartgebranntem, glasiertem Erdreich. Nur hier und dort, wo die sengenden Abgase der Raumschiffstriebwerke noch nicht hingereicht hatten, gab es einsame Grasinseln.
„Was gibt's da zu sehen?" wollte der Leutnant wissen. „Sieht aus wie gestern oder vor einer Woche."
„Eben", bestätigte Bryan mit Nachdruck.
Nosinsky musterte ihn aus zusammengekniffenen Augen.
„Was ist los, Herb? Möchten Sie mir nicht sagen, was Sie wollen?"
„Ist Ihnen nicht
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