0231 - Wenn es Nacht wird in Soho
umgeben, die ihn wie schwarzer Nebel umwogte.
Die Gestalt wälzte sich mit irren Lauten am Boden, während das Amulett wie festgenagelt an ihrer Stirn haften blieb.
Da erwachte Zamorra aus seiner Bewußtlosigkeit, in die er vorübergehend verfallen war. Er sah gerade noch, wie sich die dunkle Sphäre um Kerrs Körper immer stärker verdichtete, bis sie fast wie etwas stofflich Festes wirkte - wie eine schwarze Mauer! Von Kerr war nichts mehr zu sehen! Auch vom Amulett nicht! Nur Schwärze, hinter der ein grauenhafter Kampf tobte…
Drei Sekunden später verschwand die Schwärze.
Und mit Entsetzen stellte Zamorra fest, daß nichts zurückblieb. Weder Kerr - noch das Amulett…
Sanguinus war geflohen und hatte beide mitgenommen!
***
Die Fesseln schnitten ihr ins Fleisch. Die Handgelenke hatte sie längst wundgescheuert bei dem hoffnungslosen Versuch, sich zu befreien.
Keinen Millimeter hatten sie bisher nachgegeben!
Der Alte schien ein Meister der Fesselungskunst zu sein. Die Hände hatte er ihr auf dem Rücken festgebunden, die Beine an den beiden vorderen Stuhlbeinen.
Nicole Duval richtete pausenlos ihren Blick auf das Treiben des Wahnsinnigen, in dessen Fänge sie geraten war.
Den ersten Schock hatte sie überwunden; dennoch war es ein mehr als schlimmes Gefühl, die dreizehn Toten zu sehen, die unweit von ihr um einen runden Holztisch herumsaßen, teilweise an ihre Stühle gefesselt wie Nicole, weil sie wahrscheinlich ansonsten heruntergefallen wären.
Es war ein wüstes Bild.
Und der Alte, der längst alle Regeln der Gesellschaft und menschlicher Moral hinter sich gelassen hatte, kniete heftig gestikulierend, den Rücken Nicole zugewandt, vor den dreizehn Leichen, als wollte er ihre verlorenen Seelen beschwören.
Nicole ahnte nicht, wie nahe sie mit ihrer Vermutung an den Kern der Wahrheit herankam.
Zwischen ihr und dem Alten veränderte sich plötzlich die Umgebung.
Nur am Rande vernahm sie noch die unverständlichen Worte, die ihr Entführer mit fast religiösem Eifer murmelte.
Vor der Französin rollte ein gespenstischer Vorgang ab.
Aus dem Nichts heraus bildeten sich plötzlich die Konturen eines größeren Objektes, das zunächst noch nicht klar erkennbar war. Es entstand einfach, als dringe es durch eine unsichtbare Tür aus einem jenseitigen Raum ins Diesseits!
Nicole schluckte.
Die Umrisse des Gebildes gewannen an Schärfe und Stabilität. Einzelheiten zeichneten sich heraus. Verstrebungen aus Holz, zwei knapp einen Meter auseinanderstehende Balken, zwischen denen eine rasiermesserscharfe, künstlich beschwerte Stahlklinge eingehängt war. Das Messer war an einem Seil befestigt, welches wiederum über zwei flaschenzugähnliche Lager lief und an einem der beiden Trägerbalken eingehakt war.
Eine Woge dumpfen Grauens schlug über Nicole zusammen, als ihr klarwurde, was dieses hölzerne Gebilde darstellte.
Ein Schafott!
Eine Guillotine! Ein Fallbeil!
Es gab Dutzende Namen dafür. Aber was waren Namen? Schon im Altertum und im Mittelalter waren solche teuflischen Konstruktionen zur mechanischen Enthauptung benutzt worden. Bei der französischen Revolution… Aber auch in neuerer Zeit waren noch Schwerstverbrecher auf diese Weise hingerichtet worden.
Sch werstverbrecher!
Welche grenzenlose Ironie, welcher Zynismus vor dem Leben, daß der wahnsinnige Alte ein solches Gebilde erschuf!
Nicole wußte sofort, daß das Fallbeil für sie bestimmt war. Sie konnte zwei und zwei zusammenzählen. Die Angst fraß wie Säure in ihr. Aber nicht nur Angst um ihr eigenes Leben. Sie hatte eben nur ein kleines Beispiel der magischen Kraft des Alten erlebt, deshalb fragte sie sich allen Ernstes, wer sich diesem Mörder in den Weg stellen sollte.
»Zamorra?«
Sie wußte nicht einmal, wie es ihm inzwischen ging. Doch selbst wenn er sich von seiner Schußverletzung inzwischen erholt hatte, mußte sie bezweifeln, daß er in der Lage war, diesen Feind zu besiegen!
Woher nimmt der die Macht? überlegte die Französin beklommen. Wie nennt man jemanden, der aus dem Nichts Materie schaffen kann?
Ein Kichern dicht an ihrem Ohr riß sie aus ihrer Gedankenwelt.
Total verblüfft wandte sie den Kopf nach links, wo der schmächtige Alte wie hingezaubert stand. Hatte sie ihn kurz aus den Augen verloren?
Sie blickte zu den dreizehn Leichen.
Dabei kam ihr Blick nicht am Schafott vorbei.
Echter konnte etwas gar nicht aussehen. Das war keine Projektion, kein fauler Zauber - das war tödliche
Weitere Kostenlose Bücher