0254 - Geister-Party
diesen Dingen der Reeperbahn. Nicole schüttelte abwehrend den Kopf.
»Ich weiß im ›Regent-Palace-Hotel‹ einen Raum, wo es auch außerhalb der Sperrstunde noch ein kühles Bierchen zu trinken gibt!« raunte Professor Zamorra seiner Freundin leise ins Ohr.
»Das sieht euch Männern ähnlich. Ständig denkt ihr ans Bier trinken!« fauchte Nicole. »So eine laue Sommernacht habe ich in London selten erlebt. Und eine sternenklare Nacht. Siehst du den Mond über Soho?«
»Der leuchtet so hell, daß er Vampire und Werwölfe an die Arbeit treibt!« murrte Professor Zamorra.
»Dieser Barbar! Immer nur an die Arbeit denken! Keinen Sinn für ein bißchen Romantik!« sagte Nicole mit gespieltem Zorn. »Ich möchte doch nur einen kleinen Spaziergang mit dir machen…!«
»… der dank der fortgeschrittenen Stunde nicht in einer Boutique der Kings-Road enden wird!« beendete Zamorra den Satz und küßte sie auf den Mund. »Du hast Recht, geliebte Nici. Sehen wir uns mal Westminster bei Nacht an!«
Wie ein turtelndes Liebespaar schlenderten sie in Richtung Piccadilly-Circus, wo ihr Hotel lag. Aber sie überquerten diesen berühmten Platz und gingen weiter an der Downing Street, der Westminster Abbey und dem Parlament vorbei zur Themse. Wie kleine Kinder warfen sie Steine hinein.
Niemandem, auch keinem Dämon, wäre aufgefallen, daß dieser Mann und die Frau das in allen Kreisen der Hölle gefürchtete Dämonenjägerpärchen war. Für Zamorra und Nicole war es wie echter Urlaub.
Ein Urlaub, der nur zu bald unterbrochen werden sollte.
Denn für den Rückweg schlug Nicole Duval einen kleinen Umweg über den Trafalgar-Square vor. Der gigantische Platz, in dessen Zentrum die Nelson-Säule von vier steinernen Löwen bewacht wird, ist am Tage einer der beliebtesten Treffpunkte der Stadt. Jetzt jedoch war er wie leergefegt.
Nicole wurde von den Auslagen eines Textilgeschäftes magisch angezogen. Und Zamorra mußte ihr folgen und die neuesten Kreationen der Londoner Mode-Päpste bewundern.
So erspähte er nicht, daß über den leeren Platz ein Mensch in der typischen Tracht eines englischen Gentleman schritt. Die schwarze Melone saß auf ergrautem Haar. Im Knopfloch des schwarzen Jacketts steckte eine rote Nelke, und es fehlte weder der Regenschirm noch das Diplomatenköfferchen.
Gierige Augen spähten nach der Gestalt, die für eine Bande jugendlicher Banditen ein leichtes Opfer werden mußte …
***
Ein gutes Dutzend meist jüngerer Männer mit verwahrloster Kleidung und speckigen Lederjacken rannte quer über den Trafalgar-Square.
Der Gentleman drehte sich erstaunt um. Er machte keine Anstalten zu fliehen. Die Halunken wurden unsicher. Wer war dieser Mann, der nicht floh, wie es jeder vernünftige Mensch in seiner Lage getan hätte?
Er ließ nur den Regenschirm zu Boden gleiten und nahm das Diplomatenköfferchen in beide Hände. Seine Finger ruhten auf dem Öffnungsmechanismus. Sein Gesicht strahlte den angeborenen Stolz des echten Briten aus.
Die Straßenräuber schwärmten aus. In langgezogener Reihe drangen sie auf das Opfer ein. Eine Taktik, die sie oft genug erprobt hatten. Es war nur eine Frage der Zeit, wann er vollständig eingekreist war.
Warum, zum Teufel, floh dieser Mann nicht? Oder warum versuchte er nicht, nach der Polizei zu rufen? Bei dem abgeebbten Verkehr mochte seine Stimme sehr weit tragen.
In diesem Augenblick wurde die Stille durch Rufe in französischer Sprache unterbrochen. Nicole Duval hatte ihre Augen von den ohnehin Viel zu teueren Auslagen des Modegeschäftes gelöst und sich umgewandt. Sofort erkannte sie die gefährliche Situation, in der dieser gut gekleidete Gentleman sich befand.
Professor Zamorra schaltete sofort. Diesen Hyänen der Großstadt mußte das Handwerk gelegt werden. Zwar war er, wie üblich, unbewaffnet, aber das vielseitige sportliche Training und die fortgeschrittenen Kenntnisse in den asiatischen Kampfsportarten wogen einiges auf.
Nicole Duval stand ihm da nichts nach. Wenn es darauf ankam, wurde die zierliche Französin zur Wildkatze.
»Wir haben keine Chance, sie zu besiegen!« knurrte der Parapsychologe. »Aber der Kampflärm lockt gewiß die Polizei herbei. Wir müssen dem Mann helfen. Sonst ist er verloren!«
»Zeigen wir den Briten also, wie die Gallier zu kämpfen verstehen!« rief Nicole mit heller Stimme und rannte los.
»Viva Asterix!« war der Schlachtruf Zamorras, als er hinter seiner Geliebten herspurtete.
»Kümmert euch mal um die da!«
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