0254 - Geister-Party
Victoria. Das ist der Untergang des britischen Empire!«
»Eins auf die Schnauze haben?« fragte Rattengesicht böse.
»Junger Mann! Ich darf höflichst darum bitten, daß Sie sich eines anderen Tonfalles befleißigen!« kam es tadelnd. »Sie haben es hier nicht mit ihresgleichen zu tun. Männer, die aus England ein Weltreich machten, zählen zu meinen Ahnen!«
»Der ist ja total ausgerastet!« wurde ringsum gemurmelt. »Der spinnt. Der hält sich wohl für den Neffen vom Großen Hund!«
»Ich bin Sir Archibald! Earl of Pembroke!« erklärte der Gentleman stolz. »Und nun befehle ich Ihnen, zu verschwinden, nachdem Sie den Herrschaften ihr Eigentum wieder ausgehändigt haben. Von einer förmlichen Entschuldigung Ihrerseits in bezug auf meine Person nehme ich Abstand!«
»Und wenn wir das nicht tun, Mister?« grinste der Boß der Meute breit.
»Mit ›Sir‹ redet man mich an!« wies ihn der Earl zurecht. »Und wenn Sie meinen Wünschen nicht entgegenkommen, geschieht etwas für Sie recht Unangenehmes.«
»Und das wäre?« Das Grinsen wurde noch breiter.
»Dann öffne ich meinen Koffer!« erklärte Sir Archibald.
***
Trotz seiner wenig beneidenswerten Situation mußte Professor Zamorra schmunzeln. Sir Archibald war jeder Zoll Engländer. Aber ob das hier die richtige Taktik war, mußte der Franzose doch bezweifeln.
Er hatte harte Schläge eingesteckt und gemerkt, daß die Gangster nicht lange fackelten. Sir Archibald besaß keine Chance zu entkommen oder einen Kampf für sich zu entscheiden.
Professor Zamorra kannte den Earl of Pembroke schon eine ganze Weile. Fernbroke Castle lag in der Nähe des Beaminster-Cottage in Dorset, das Haus, wohin sich Zamorra flüchten wollte. Und es besaß einen recht zweifelhaften Ruf.
Niemand wußte genau, was an dem Gerücht dran war. Denn auf Pembroke Castle sollte es nicht geheuer sein. Nach und nach desertierte die ganze Dienerschaft, und der Earl hauste allein in dem uralten Gemäuer. Niemand konnte sich erklären, wie es möglich war, daß Pembroke Castle dennoch in Ordnung gehalten wurde.
Professor Zamorra und Nicole Duval wußten die Wahrheit.
Pembroke Castle war das Gespenster-Asyl!
Wie jeder richtige Engländer hatte Sir Archibald einen Spleen. Ursprünglich hatte er nur den Geist seines verstorbenen Urahnen, Sir Roderick of Pembroke, der in den Nächten durch die Hallen und Gänge des Schlosses spukte. Der Ahnherr war einst zur Zeit des grausamen Königs Richard III. von Gloster enthauptet worden und trat seit dieser Zeit meist mit dem Kopf unter dem Arm auf.
Als er Professor Zamorra kennenlernte und von seinem Ahnherrn erzählte, erbot sich der Meister des Übersinnlichen, das Gespenst zu vertreiben. Doch daran war Sir Archibald nicht interessiert.
Denn in diesem Moment kam ihm eine Idee, wie sie nur einem Bewohner der britischen Inseln kommen kann. Er machte sein Schloß zur Freistatt für alle vertriebenen Geister und Schloßgespenster.
Innerhalb des Schlosses mußten sie den Anweisungen Sir Archibalds gehorchen. Um die Burg war ein unsichtbarer, magischer Bannkreis gezogen, daß keins der Gespenster Pembroke Castle verlassen konnte.
Da sich gerade in der heutigen Zeit sehr viele Menschen mit der Vertreibung von Gespenstern beschäftigten und auch gewisse Erfolge erzielten, brauchte Sir Archibald keine Nachschubsorgen zu haben.
Die Gespenster waren nicht direkt bösartig. Es waren die Seelen von Verstorbenen, die für die Hölle zu gut waren, die aber zur Strafe für irdische Freveltaten noch wandeln mußten, bis sie der Strahl der Gnade traf.
Im Schloß des Earl of Pembroke warteten sie auf diesen Tag und konnten somit weder durch Gespensterjäger endgültig in die Hölle getrieben werden, noch ihren Mitmenschen durch ihre unheimliche Erscheinung Furcht und Schrecken bereiten.
Bei Sir Archibald machten sie sich nützlich und ersetzten die Dienerschaft einschließlich des Butlers. Nur die zwei nichtsnutzigen Poltergeister, zwei ehemalige Räuber, waren nicht an geregelte Arbeit zu gewöhnen. Thomas und Jeremias, oder kurz Tom und Jerry genannt, waren die Schrecken der ganzen Burg. Sir Archibald konnte ihnen jedoch nie böse sein, wie man auch keiner Katze böse sein kann, wenn sie etwas anstellt.
Dieser Herbergsvater vertriebener Schloßgespenster stand also auf dem Trafalgar-Square in London einer Bande von Schlägern und Straßenräubern gegenüber.
»Ich öffne meinen Koffer, wenn Sie es wagen, sich auch nur einen Schritt näher auf meine
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