026 - Das Mordpendel
die langen Wimpern zitterten leicht. Das bodenlange, weiße Nachthemd ließ den Hermaphroditen noch seltsamer erscheinen. Phillips Haut war blaß, fast durchscheinend. Das lange silbrige Haar umrahmte sein Gesicht und verlieh ihm etwas Engelhaftes.
Phillip hob beide Hände und schlug die Augen auf. Sie schienen von innen heraus zu leuchten. Er preßte die Handflächen zusammen, und seine Lippen bewegten sich. »Sie läuten wieder.« Sein Körper begann zu zittern. »Sie läuten den Tod ein.«
Der Dämonenkiller sprang auf und fragte sanft: »Wovon sprichst du, Phillip?« Er ließ den Hermaphroditen nicht aus den Augen.
»Die Glocken«, hauchte Phillip, und seine Augen wurden größer.
»Welche Glocken?«
»Hörst du sie nicht?« Der Hermaphrodit drehte den Kopf zur Seite und lauschte.
»Ich höre nichts«, sagte Hunter.
»Du mußt sie hören.« Phillips Stimme war schrill geworden. Sein Körper krümmte sich, und er öffnete den Mund weiter und keuchte. Schaum stand vor seinen Lippen. Die Augen waren starr und riesengroß.
Hunter kam näher. Er blieb vor Phillip stehen, der sich beide Hände gegen die Ohren preßte, einen gurgelnden Schrei ausstieß und an Hunter vorbei auf den Tisch zu sprang. Der Dämonenkiller griff nach dem Hermaphroditen, doch Phillip entwand sich seinem Griff und kauerte vor dem Tisch nieder. Bevor ihn Hunter daran hindern konnte, hatte Phillip den Drudenfuß mit der rechten Hand gepackt, und seine schmalen Finger huschten über die Tarot-Symbole.
Der Drudenfuß strahlte plötzlich dunkelrot und wuchs. Die Symbole wanderten immer rascher die Stäbe auf und nieder. Phillip erstarrte mitten in der Bewegung. Der Drudenfuß entfiel seiner klammen Hand. Der Hermaphrodit wimmerte leise und versuchte aufzustehen. Die Augen hatte er geschlossen.
Hunter stützte den Jungen und führte ihn zur Couch. Phillip ließ sich einfach niederfallen und drehte sich zur Seite. Sein angespanntes Gesicht veränderte den Ausdruck. Er sah wieder wie ein Engel aus. Seine mädchenhafte Brust hob und senkte sich regelmäßig. Er war eingeschlafen.
Der Dämonenkiller strich sich nachdenklich über den Schnurrbart. Sein Blick fiel auf den Drudenfuß, der wieder geschrumpft war und jetzt schwarz schimmerte. Hunter bückte sich, nahm den Drudenfuß und versperrte ihn im Wandtresor. Er hing das Ölbild davor und wandte sich dann Phillip zu, der noch immer schlief.
Hunter hob den Hermaphroditen hoch und trug ihn in sein Zimmer. Im Gang blieb er nachdenklich stehen. Er war, wie üblich, aus Phillips Worten nicht klug geworden. Der Junge hatte ihm etwas sagen wollen, aber was?
Hunter hob die Schultern und ging ins Schlafzimmer. Coco war noch auf. Sie legte das Buch zur Seite und blickte ihn an.
»Ich dachte, daß du schon schlafen würdest«, sagte er und setzte sich aufs Bett.
»Ich bin noch nicht müde.«
Der Dämonenkiller brummte und unterdrückte die boshafte Bemerkung, die ihm auf der Zunge lag. Sein Verhältnis zu Coco war noch immer leicht gespannt, und er hatte keine Lust, es durch spöttische Bemerkungen noch mehr zu strapazieren. Ursprünglich hatte er in seinem Reihenhaus in der Abraham Road übernachten wollen, doch Coco war dagegen gewesen. Sie mochte das Haus nicht; da war ihr die Jugenstilvilla noch lieber.
»Hast du schon mal etwas von Glocken gehört, die den Tod einläuten, Coco?«
»Wie war das?« fragte sie überrascht.
»Ich saß im Wohnzimmer, da tauchte Phillip auf und faselte etwas von Glocken, die wieder läuten. Und angeblich sollen diese Glocken den Tod einläuten. Er führte sich auf, als würde er Schmerzen haben. Er veränderte einige Symbole des Drudenfußes, dann fiel er in einen ohnmachtsartigen Schlaf. Ich brachte ihn in sein Zimmer. Kannst du dir darauf einen Reim machen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich werde morgen mit Phillip darüber sprechen. Vielleicht sagt er mir mehr.«
»Viel Glück!« sagte Hunter boshaft. »Vielleicht hast du jetzt tatsächlich mehr Glück, dich mit Phillip zu verständigen, nachdem du einen Teil deiner Fähigkeiten zurückgewonnen hast.«
Coco seufzte. »Es würde dir wohl sehr schwerfallen, einige Zeit ohne spitze Bemerkungen auszukommen, was?«
Dorian lachte freudlos. »Entschuldige. Ich bin nervös und gereizt. Wir treten auf der Stelle. Den Drudenfuß haben wir zwar, aber wir wissen nicht, wo sich die Dämonen-Drillinge aufhalten. Sag mir jetzt bitte nicht wieder, daß ich auf Olivaro hätte hören sollen. Ich will von ihm nichts wissen.
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