027 - Das Henkersschwert
»Ich zahle Ihnen dafür, was Sie wollen, Herr Helnwein, aber ich bin nicht bereit, Ihrem Wunsch zu entsprechen.«
»Sie sind stur, junger Freund«, sagte der Alte bedauernd. »Erfüllen Sie den Wunsch eines alten Mannes, und das Schwert gehört Ihnen.«
»Sie verlangen etwas Unmögliches von mir«, sagte Dorian. »Coco ist eine Hexe. Sie verdient …«
»Was verdient sie?«
Dorian schwieg.
»Was verdient sie, Herr Hunter?«
Helnwein hatte sich vorgebeugt und starrte Dorian an. »Sie verdient den .«
Dorian wandte sich ab.
»Nehmen Sie doch endlich Vernunft an, Hunter!« schrie Helnwein. »Sie benehmen sich wie ein trotziges Kind. Nehmen Sie Coco mit! Ich garantiere Ihnen, Sie werden es nicht bedauern.«
»Tut mir leid«, sagte Dorian. »Ich verzichte auf das Schwert. Und ich danke Ihnen für die Hilfe, die Sie mir gestern gaben. Ohne Ihre Utensilien wäre ich nicht mehr am Leben. Ich bedaure es wirklich, daß wir so auseinandergehen müssen.«
Er streckte dem Alten eine Hand hin, doch Helnwein ignorierte sie. »Ich kann mir denken, was Sie mit Coco vorhaben. Ich beschwöre Sie, nehmen Sie Vernunft an! Das Mädchen liebt sie. Sie ist.« Dorian machte eine Kehrtwendung und schritt durch das Tor auf seinen Wagen zu.
Helnwein bückte sich und hob den Karton auf. Langsam schob er die Schatulle hinein.
Dorian blieb vor dem Wagen stehen und überlegte kurz. Er wußte, daß es nicht richtig gewesen war, sich so von Helnwein zu verabschieden. Der alte Mann hatte es nicht verdient, so behandelt zu werden. Doch er konnte nicht anders; er durfte nicht schwach werden; er mußte seine Aufgabe erfüllen. Dorian öffnete die Wagentür und schlüpfte hinters Lenkrad. Coco sah ihn schweigend an. Er startete und fuhr aus der Parklücke.
»Nimmst du mich mit, Dorian?«
Er stieg stärker aufs Gas und gab ihr keine Antwort. »Wohin fährst du?« fragte sie.
Wieder bekam sie keine Antwort. Stur fuhr er weiter. »Das ist nicht die Richtung zum Flughafen«, sagte Coco.
»Ich weiß«, sagte Dorian und sah sie nicht an.
»Wohin fährst du?«
»Das wirst du schon sehen.«
Dorian fuhr in Richtung Westen.
»Bitte, Dorian!« flehte das Mädchen. »Hör mir, bitte, zu!«
»Halt den Mund!«
Nur nicht schwach werden, sagte sich Dorian. Ich habe eine Aufgabe zu erfüllen. Ich darf ihr nicht zuhören.
Er biß die Zähne zusammen und fuhr noch rascher.
Coco kannte die Gegend gut. Sie war oft hier spazierengegangen. Ihre Angst wuchs. Sie näherten sich der Villa ihrer Eltern.
Dorian raste die Veitinger Gasse entlang. »Wohin fahren wir?« fragte Coco abermals. »Ich will dir etwas zeigen.«
Als die Rotenberggasse auftauchte, bremste Dorian ab.
»Steig aus!« sagte er, ohne sie anzusehen.
Coco folgte und stieg aus. Sie überquerten die Straße und gingen auf den Roten Berg zu, einem kleinen Hügel, von dem aus man einen prächtigen Überblick über Wien hatte. Coco war schon als
Kind oft hier gewesen. Sie hatte hier mit ihren Brüdern gespielt und war hier zum erstenmal auf Skiern gestanden.
Eine alte Frau kam ihnen entgegen, die sie aber nicht beachtete.
»Komm mit!« sagte Dorian.
Er ging vor. Sie kamen an einigen schneebedeckten Bänken vorbei. Coco konnte sich nicht vorstellen, was ihr Dorian zeigen wollte.
Es gab zwei Wege, die auf den Hügel hinaufführten; einer stieg sanft an, der andere war eigentlich kein richtiger Weg; er wurde von Kindern benützt, die gern kletterten. Und diesen steilen Aufstieg hatte Dorian gewählt. Er ging rasch, und Coco folgte ihm.
»Was willst du mir zeigen, Dorian?«
»Du wirst es sehen.«
Sie erreichten den flach ansteigenden Weg. Dorian blieb kurz stehen, sah sich aufmerksam um, und ging dann auf einige Sträucher zu. Kein Mensch war zu sehen. Er schob die kahlen Äste eines Baumes zur Seite und schritt einen schmalen Weg entlang, der um den Hügel herumführte.
Abermals blieb er stehen. Ein merkwürdiges Lächeln umspielte seine Lippen. Seine Augen blickten sie kalt an.
»Tritt näher!« sagte er heiser. »Tritt näher und sieh, was ich dir zeigen will!«
Coco kam zögernd näher.
»Komm schon!« brüllte er. »Komm!«
Sie ging an ihm vorbei und blieb entsetzt stehen.
»Nein!« schrie sie und wollte davonlaufen, doch Dorian packte sie am Arm und riß sie zurück.
Das Gesicht des Mädchens war vor Entsetzen erstarrt. »Nicht, Dorian!« schrie sie.
Sie sah seine geballte rechte Faust und wollte dem Schlag ausweichen, doch sie hatte eine Sekunde zu spät reagiert. Der Hieb
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