0280 - Entscheidung am Teufelsfelsen
Selten genug kam es vor, daß er total ausspannen konnte, und noch seltener, daß dies gemeinsam mit Teri Rheken geschah. Die beiden Druiden waren ständig in der Welt unterwegs, um mit ihrem Freund Zamorra oder auch allein gegen die Macht der Dämonen zu kämpfen.
Hinter Gryf raschelte etwas. Der Druide wandte sich nicht um, weil er keine Gefahr witterte. Also konnte es nur ein Freund sein. Noch nie in seinem achttausendjährigen Leben hatte ihn sein Gefühl getrogen.
»Gryf?« sagte die Stimme.
Der Mann mit dem wirren blonden Haar, der wie ein Zwanzigjähriger aussah, seufzte. »Du Merlin? Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder du willst angeln, oder du hast einen Auftrag.«
Merlin trat neben Gryf und sah auf die ruhige Wasserfläche hinaus. »Ein Auftrag«, sagte der Mann, den sie einst den König der Druiden nannten. »Du entsinnst dich an den Kampf gegen Satans Todesschwadron?«
Gryf nickte, ohne die Pfeife aus dem Mund zu nehmen. Es war eine Auseinandersetzung größeren Formats gewesen, und Gryf und Teri hatten gegen das höllische Siebengestirn des Asmodis an Zamorras Seite mitgekämpft. [2]
»Asmodis entführte Teri in die Felsen von Ash’Naduur und zwang Zamorra dort zum Duell. Blut floß, auch wenn es schwarzes war«, fuhr Merlin fort.
Gryf sah auf. »Und?«
»Vielleicht war das Blut der Auslöser. In Ash’Naduur ist etwas erwacht und greift nach der Menschenwelt. Die Felsen folgen nicht mehr ihrer Bestimmung.«
»Und ich soll nachschauen.«
»Nachschauen und korrigieren, so es in eurer Macht steht - du und Teri. Denn für einen, auch wenn er das Silbermondblut trägt, ist es zu viel.«
Gryf murmelte eine bitterböse Verwünschung. »Merlin, alter Freund, weißt du, daß das seit langem die ersten ruhigen Tage sind, die Teri und ich haben?«
»Wo ist sie überhaupt?« fragte Merlin, ohne auf Gryfs Bemerkung einzugehen.
»Einen Spazierritt am Ufer entlang. Ich schätze, sie kommt bald zurück. Willst du warten? Ich lade dich zu gebackenem Fisch ein.«
Merlin nahm die Einladung gern an.
Gryf setzte seine Druiden-Magie ein, lockte einen großen Karpfen an die Angel und zog ihn an Land. Kunstgerecht schuppte er ihn ab, nahm ihn aus und machte sich daran, ihn mundgerecht zuzubereiten. Währenddessen ertönte Hufschlag. Merlin sah auf.
Ein bezaubernd schönes Mädchen mit hüftlangem goldenen Haar ritt auf einem weißen Einhorn heran, schwang sich geschmeidig vom Rücken des Tieres und streichelte es. »Hallo, Merlin.«
»Spielst du Lady Godiva?« fragte Merlin und spielte auf jene Dame an, die einst nackt durch die Stadt ritt, um den Bürgern Steuererleichterung zu verschaffen; für den Landesherrn Augenweide und folterähnliche Erpressung zugleich. Teri Rheken, mit nichts als einem Blumenkranz im Haar und einem strahlenden Lächeln bekleidet, schüttelte den Kopf. »Es macht einfach Spaß, völlig eins mit der Natur zu sein«, erklärte sie. Sie besaß ein äußerst unkompliziertes Verhältnis zur Nacktheit und bewegte sich völlig natürlich, wo immer es ihr möglich war, ohne die enggesetzten Grenzen der Mitmenschen zu verletzen. Sie küßte erst Gryf und dann Merlin. »Was treibt dich her?«
Merlin erklärte es ihr.
»Es geht also wieder los«, murmelte sie und schickte das Einhorn fort, zurück zu seinen Artgenossen. »Und ich hatte gehofft, uns bliebe noch Zeit…«
Merlin erkannte den Doppelsinn ihrer Worte. »Es scheint«, sagte er düster, »als regte sich die DYNASTIE seit langen Jahrtausenden wieder. Der Äonenwechsel rückt näher, und offenbar stehen wichtige Dinge bevor. Wichtig für uns - und wichtig für die anderen…«
»Ich mag es nicht, wenn du dich nur in Andeutungen ergehst«, sagte Teri entschieden. »Warum drückst du dich nicht klar aus?«
»Weil auch ich an bestimmte Gesetze gebunden bin.«
Gryf legte den Arm um Teris Schultern. »Sag mal, Merlin«, sagte er bedauernd, daß eine kurze Zeit der ungestörten Harmonie und Liebe zu Ende gehen sollte, »kannst du nicht Zamorra damit beauftragen?«
»Zamorra könnte durch seine Unbedarftheit alles verderben«, sagte Merlin. »Er ahnt nichts. Er darf auch noch nichts wissen, denn er denkt anders über diese Dinge als ich. Er könnte trotz seines guten Willens zu viel verderben. Ihr aber handelt hoffentlich in meinem Sinne.«
»Hm«, machte Gryf.
Merlin nahm den Fisch aus der Pfanne. »Ich danke euch«, sagte er. »Überdies eilt es. Jede verstreichende Sekunde kann schon zuviel sein.«
Seine Umrisse verblaßten.
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