0280 - Turm der weißen Vampire
Treppe hoch, die mit einer fingerdicken Staubschicht bedeckt waren.
Oben klopften auch wir uns flüchtig den Dreck und Staub aus der Kleidung. Wir standen wieder in der großen Schloßhalle, durch deren Fensterlöcher der Wind pfiff.
Beide dachten wir das gleiche. Ich sprach es aus. »Ob es der einzige Vampir war, der sich hier verborgen gehalten hat?«
»Willst du das Schloß durchsuchen?«
»Würde ich gern…«
»Aber?«
Ich hob die Schultern. »Denk an den Pater und das Mädchen. Die beiden sind…«
Da hörten wir die Schüsse. Sie waren nicht in der Nähe aufgeklungen, sondern weiter entfernt. Eine Richtung war schlecht abzuschätzen, da das Echo sehr wechselte. Meinem Gefühl nach konnten die Schüsse eigentlich nur von Ruth Thompson abgegeben worden sein, da sie ein Gewehr besaß.
Wir dachten nicht mehr an unser Vorhaben, auch noch die übrigen Teile der Burg zu durchsuchen, sondern eilten hinaus.
Die Schüsse wiederholten sich nicht. Ruhe lag über der Insel. Mir kroch es kalt den Rücken hoch, und ich mußte hart schlucken. War mit diesen zwei Schüssen alles vorbeigewesen?
Wir schauten dorthin, wo die Ansiedlung lag. Erkennen konnten wir nichts, nur ein paar Dächer der etwas höher gebauten Häuser.
Das war schon alles.
Aber wir vernahmen ein Geräusch.
Es war über uns erklungen und schien aus dem grauen, wolkenverhangenen Himmel zu dringen.
Wir hoben die Köpfe.
Zunächst einmal verdeckten die Wolken das Sichtfeld, bis sich ein winziger Punkt aus ihnen löste und der Wind abermals den Klang eines Propellergeräusches herantrug.
Ein Flugzeug kam.
Es flog aus südlicher Richtung heran und schien auf dem Festland gestartet zu sein. Hatte Ruth nicht von einer Postmaschine gesprochen? So mußte es sein.
Wir würden Besuch bekommen, wobei der Pilot nicht ahnte, daß er direkt in eine Hölle flog…
***
Der Vampir wollte Ruth Thompson zu Boden reißen, um sie dort beißen zu können. Aber er hatte Pech und die Frau Glück, denn ihr gelang es, das Gewehr hochzureißen und den breiten Kolben zwischen sich und den Blutsauger zu klemmen.
Sie fiel zuerst, der Vampir kippte auf sie, aber zwischen ihnen befand sich das Gewehr.
Der Kopf des Blutsaugers bewegte sich nach vorn. Das blutumränderte Maul war aufgerissen und bildete ein schauriges Oval, aus dem die beiden Zähne stachen.
Ruth kämpfte verbissen. Sie hatte ihre erste Panik unterdrücken können, und ihr Widerstandswille war erwacht. Sie dachte an ihren Schwur, den sie geleistet hatte, und es gelang ihr tatsächlich, die gefährlichen Zähne von ihrem Hals fernzuhalten.
Ruhig blieb sie nicht liegen. Sie strampelte mit den Beinen, winkelte sie auch an und rammte ihre Knie in die Höhe, wobei sie den Vampir traf, ihm leider keine Schmerzen zufügen konnte, denn ein Blutsauger reagiert anders als ein Mensch.
Mit einer Hand drückte der weiße Vampir die rechte Schulter der Frau gegen den Boden, mit der anderen hielt er den Lauf des Gewehrs umklammert. Er wollte es bis zum Hals der Frau drücken, um ihr die Luft abzupressen.
Ruth stemmte sich dagegen. Sie jammerte, schrie und keuchte, weil sie von einer unheimlichen Wut erfüllt war und auch merkte, daß die Kräfte des Vampirs doch stärker waren.
Aber sie bekam Hilfe.
Father Ignatius hatte sich umgedreht und den anderen Blutsauger einfach laufenlassen. Er sah Ruth in Gefahr und eilte mit Riesenschritten und wehender Kutte heran.
»Stirb, du verfluchter Satan!« brüllte er, so laut er konnte. »Fahr zur Hölle!«
Der weiße Vampir hörte die Worte. Er sprang hoch, und in dem Augenblick stürzte sich der Pater auf ihn.
Den rechten Arm hatte er vorgestreckt, in der Hand hielt er das Kreuz, das der Blutsauger dicht vor seinem Gesicht auftauchen sah, bevor es genau in seine schreckliche weiße Fratze hineingedrückt wurde.
»Uuuooohhaaarrrhhh!«
Ein nicht mehr menschlich zu nennender Schrei drang aus seinem Maul, als er nach hinten kippte, über die Beine der Frau wegfiel und auf dem Rücken liegenblieb.
Er lag im Dreck der Straße, seine Beine bewegten sich hektisch, die Hacken trommelten auf den Boden. Zudem lugte plötzlich die Sonne hinter einer Wolke hervor. Zufällig traf einer ihrer Strahlen haargenau sein Gesicht und zeichnete den großen Abdruck des Kreuzes noch deutlicher nach.
Er war pechschwarz!
Dabei bildete er einen starken Kontrast zum Weiß des Gesichts, das aber seine Farbe verlor und allmählich grau wurde. Um den Abdruck des Kreuzes herum zerfiel das Gesicht.
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