0285 - In den Tiefen von Loch Ness
den Hintergründen erfahren? Das Ungeheuer im See, diese typische Zeitungsente für das alljährliche Sommerloch, und dann das angeblich lebende Skelett - das ist doch Blödsinn! Vater, wir leben in einer modernen Zeit. Die Ära der Gespenster und Geister ist vorbei, und warst du es nicht selbst im vergangenen Jahr, der vorschlug, einen leerstehenden Teil des Castle mit einem Gespenstschauspieler zu versehen und für den Tourismus freizugeben, um Geschäfte damit zu machen und unsere Millionen noch weiter zu vergrößern!«
Sir Glenn erbleichte.
»Eins hat mit dem anderen nichts zu tun«, keuchte er. »Hilfst du mir, oder hilfst du mir nicht?«
Roderick ließ nicht locker. »Nur, wenn ich weiß, worum es geht…«
»Um ein wandelndes Skelett, das sich irgendwo in Raven’s Castle herumtreibt und das unschädlich gemacht werden muß, um jeden Preis!«
»Vater…«
»Du hilfst mir also nicht. Nun gut, dann muß ich es allein durchstehen. Geh.«
Schulterzuckend wandte Roderick sich ab.
Der Alte spinnt, dachte er im Hinausgehen, aber Angely hat’s genauso erwischt. Skelette, die munter durchs Castle pilgern, gibt es nur im Gruselfilm und in alten Schauermärchen der Altvorderen. Aber nicht im modernen Schottland!
Er zog die Tür hinter sich zu.
Sir Glenn sank hinter seinem Schreibtisch nieder und vergrub das Gesicht in den Händen. Dabei wußte er genau, daß er keine Sekunde zögern durfte. Jede weitere Sekunde konnte die Gefahr vergrößern. Das Skelett, das verborgen durch die Korridore des riesigen Castles schlich, konnte überall den Tod zurücklassen. Sir Glenn dachte an MacRoys Warnung gegenüber Angely. Nichts berühren, was MacRoy berührt hatte! Der Fremde hatte die Wahrheit klar erkannt. Vielleicht hingen noch verfaulende Reste an ihm, die er überall wie Fingerabdrücke hinterließ. Und jeder, der diese Stellen berührte, wurde ebenso vom Keim der Verwesung infiziert und würde so werden wie MacRoy.
Alle außer Sir Glenn selbst. Ihm war etwas anderes bestimmt. Und davor graute ihm ebenso wie vor der Gefahr für seine Familienangehörigen und das Personal. Er warf einen Blick auf den Schlüssel, der auf seinem Schreibtisch lag. Angely hatte das einzig richtige getan und den ganzen Korridor abgeschlossen.
Sir Glenn schluckte. Das, was das Skelett hinterließ, war tausendmal schlimmer als die Pest. Sir Glenn wußte, daß er das gesamte Castle würde entseuchen müssen, und zwar mit Magie. Anders ging es nicht.
Sein Leben lang hatte er gehofft, daß es nicht soweit kommen würde. Er scheute vor der Magie zurück. Aber jetzt, ganz zum Schluß, hatte ihn das Schicksal doch ereilt.
Hätte er doch damals nicht…
Wütend sprang er auf, schüttelte seine Gedanken ab wie ein nasser Hund die Wassertropfen. Es half nichts, über Fehler der Vergangenheit nachzudenken. Er mußte sich der Gegenwart stellen und damit auch der Zukunft. Und zwar sofort, ehe Schlimmes geschah. Er trug die Verantwortung nicht nur für sich selbst, sondern auch für seine Familie.
Magie…
Himmel und alle Sterne, er hatte sich zwar lange Jahre mit ihr befaßt, damals, als er jung gewesen war, und er hatte sie fürchten gelernt in all ihren tausendfältigen Spielarten. Aber dennoch wußte er doch kaum etwas! Er benötigte einen Magier. Doch woher sollte er diesen so rasch bekommen?
Er kannte doch niemanden, der des Zauberns wirklich kundig war! Es ging zwar das Gerücht, daß der Herr von Llewellyn Castle, Lord Saris, über eigentümliche Fähigkeiten verfügte, aber das hieß noch lange nicht, daß dieses Gerücht auf Wahrheit basierte. Und es hieß noch weniger, daß Lord Saris sofort alles Hals über Kopf liegen und stehen lassen würde, um Sir Glenn aus der Klemme zu helfen. Und vielleicht war Saris auch gar nicht anwesend, vielleicht weilte er derzeit in seiner Eigenschaft als Angehöriger des Parlaments in London…
Sir Glenn ballte die Fäuste.
Er klappte das geheimnisvolle Buch wieder auf. Er mußte ein bestimmtes Pulver mischen, dessen Grundsubstanzen er erst noch zusammensuchen mußte. Nur mit diesem Pulver ließ der wandelnde Tote sich zurückwerfen, vielleicht nicht einmal töten.
Ich hätte mich zeitlebens damit beschäftigen müssen! Warf Sir Glenn sich vor. Ich wußte doch, was eines Tages auf mich zukommen würde! Aber ich Narr habe es verdrängt…
Und jetzt ist es da.
Der Fluch. Die Drohung aus ferner Vergangenheit. Und das alles nur, weil…
Abermals zwang er sich zur Ruhe und begann noch eimmal die
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