03 Nightfall - Zeiten der Finsternis
Merri leise direkt hinter ihm. Nach fünf gemeinsamen Jahren als Team fand er ihre Schnelligkeit und Kraft nicht mehr überraschend. Meistens vergaß er sogar, was sie in Wirklichkeit war.
»Für mich sieht das nach einem Vampir aus, der die Beherrschung verlor«, sagte Emmett.
Merri legte den Kopf schief. Ihre dunkelbraunen Augen musterten, was von Special Agent Rodriguez übrig war. Ehemann. Vater. FBI -Agent. »Möglicherweise war es ein junger Vampir. Oder ein verdammt hungriger.« Sie sah hinter sich Richtung Tür, und Emmett folgte ihrem Blick.
Der hölzerne Türrahmen und die pfirsichfarbene Tapete waren voller Blutspritzer. »Sieht aus, als hätte Rodriguez zumindest noch einen Schuss abgeben können«, sagte Merri.
»Ja«, stimmte Emmett zu.
Sie wies mit dem Kopf auf die Pistole an der Wand. »Viel genutzt hat es ihm nicht.«
»Was hat den Vampir dann davon abgehalten, auch Rodriguez’ Tochter zu töten?«, wollte ihr Kollege wissen. »Warum hat er sich nicht auch das kleine Mädchen geschnappt und es leergetrunken?«
»Gute Frage.« Merri ging neben ihm in die Hocke. Er konnte die Gewürznelken riechen, die ihre Zigaretten süßten. »Ich glaube, ich kenne die Antwort.«
»Wie lautet sie, Goodnight?«, gab Emmett mit einem leicht schleppenden Tonfall zurück. Louisiana ließ sich bei ihm nie ganz abstreiten. »Willst du etwa behaupten, dieser Vampir hat eine Schwäche für Kinder?«
Merri schüttelte den Kopf, so dass ihr geglättetes dunkles Haar, das sie zu einem glänzenden, hoch sitzenden Pferdeschwanz zusammengefasst hatte, wie ein Pendel über ihre Schultern schwang. »Nein. Jemand anderer hat ihm noch einmal einen Schuss verpasst.«
»Ach, und wer?«
Ein selbstgewisses Lächeln huschte über Merris rosig-volle Lippen. Sie hob die Hand und enthüllte einen kleinen, schmalen Pfeil, den sie zwischen zwei Fingern hielt. »Einer der anderen Täter hat den Vampir mit einer Betäubungspistole außer Gefecht gesetzt. Ich habe einen davon Abanos Leuten abgenommen, nachdem sie ihn eingetütet hatten. Aber diesen haben sie in dem dichten Teppichgewebe übersehen.«
Emmett schmunzelte. »Ich wusste, du würdest dich eines Tages noch als nützlich erweisen.«
»Weil ich mehr finde, als du es je tun wirst?«
»Wahrscheinlich.«
»Stimmt, Bruder«, antwortete Merri und gab ein warmes, tiefes Lachen von sich. Sie steckte den Pfeil in die Innentasche ihrer dunklen Wildlederjacke. »Ich frage mich nur, was sie sonst noch übersehen haben.«
»Stimmt, Schwester. Ich nehme an, Tonnen von Beweisen, aber im Grunde ist es ohnehin egal. Dieser Fall wird nie vor Gericht kommen.« Emmett erhob sich. Seine Knie knackten bei der Bewegung – die irritierende Stimme seiner Gelenke, Sehnen und Knochen, die er hörte, seitdem er vierzig war. Ein Chor des Körpers, der besonders laut und vernehmlich sang, wenn es regnete, und da er nun einmal in Seattle wohnte, war der Gesang beinahe täglich zu hören.
Sieht ganz so aus, als ob die ganzen Jahre, die ich mit Karate verbracht habe, nun ihren Tribut fordern.
»Wissen wir sicher, dass das FBI mit der Sache hier zu tun hat?«, erkundigte sich Merri.
»In der Zentrale hieß es nur, es sei gut möglich und wir sollten alles unter Verschluss halten, bis die Täter eindeutig identifiziert sind«, erwiderte er und reichte seiner Kollegin eine Hand, um sie hochzuziehen.
Merri schnaubte verdrießlich. »Wann sollen wir eigentlich mal etwas nicht unter Verschluss halten?« Sie nahm seine Hand. Ihre dunkelbraune Haut ließ seinen braunen Teint fast bleich erscheinen, als er das einen Meter fünfzig große Leichtgewicht auf die Beine zog. »Es heißt schließlich nicht ohne Grund Schattenabteilung.«
»Kannst du laut sagen, Schwester. Wetten, dass sogar die Ausscheidungen des Direktors als geheim gekennzeichnet sind?«
Merri schüttelte den Kopf. »Igitt, das ist eklig. Was ist …« Sie richtete sich auf und ließ seine Hand los. Ihre aufmerksame Haltung erinnerte Emmett an einen Jagdhund, der Witterung aufgenommen hatte. Sie wirbelte zur Tür herum. »Unsere Leute sind da.«
Emmett hörte, wie die Haustür sich öffnete und dann wieder ins Schloss fiel. Ein kalter Wind wehte ins Zimmer und erzeugte bei ihm eine Gänsehaut. Das Knirschen von Reifen auf Kies war trotz des noch laufenden Fernsehers ebenfalls zu vernehmen, während laute Schritte den Flur durchquerten.
»Drei«, flüsterte Merri, »und Gillespie riecht stärker als sonst nach J o ¯ van Musk. Vielleicht
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