03 - Tod im Skriptorium
doch sie hatten ihn von der Tür her niedergeschossen. Nun lag er da mit offenen Augen, die leer in die Höhe starrten.
Fidelma beugte sich nieder und schloß die blicklosen Augen in seinem schönen Gesicht.
»Er war ein guter Mensch«, sagte Colgú leise. Er stand nun hinter ihr und schaute hinunter.
Fidelmas Schultern zuckten leicht.
»Gute Menschen werden so oft von bösen umgebracht«, murmelte sie. »Ich wünschte, er hätte es noch erlebt, wie diese Sache geklärt wird.«
Sie stand auf und ballte die Fäuste in ihrem Kummer. Sie wandte ihrem Bruder ihr trauriges Gesicht zu, konnte ihre Tränen nicht länger zurückhalten. Ihre innere Stimme sagte ihr, daß sie einen dritten Fehler begangen hatte. Ihre Eitelkeit hatte Cass den Tod gebracht. Sie hatte drei Fehler gemacht, mehr durfte sie sich nicht leisten.
»Er starb, als er mich verteidigte, Colgú«, sagte sie leise.
Ihr Bruder neigte den Kopf.
»Ich glaube, so einen Tod hätte er sich gewünscht, kleine Schwester. Da sein Bemühen nicht vergeblich war, wird seine Seele Frieden finden. Sein Tod wird dich doch nicht daran hindern, die Untersuchung weiterzuführen?« fügte er besorgt hinzu.
»Nein«, erwiderte Fidelma fest. »Der Tod verhindert viele Dinge, doch nie den Sieg der Wahrheit. Seine Seele wird in Frieden ruhen, denn ich glaube, ich bin nun der Wahrheit nahe, die sich mir so lange entzogen hat.«
K APITEL 18
Fidelma hockte oben auf der Bastion an dem Rundgang, der sich an der gesamten Außenmauer der Abtei hinzog, und blickte nachdenklich auf die Bucht vor Ros Ailithir hinunter. Der stille Meeresarm hatte sich mit einem Wald von Masten und Rahen bedeckt, die von zahllosen Schiffen aufragten. Kriegsschiffe und Küstensegler hatten sich in dem geschützten Hafen versammelt wie eine Schule Fische auf ihrem Laichgrund, Würdenträger aus Meath, dem eigenen Reich des Großkönigs, und Laigin hierhergebracht. Auch die Chronisten, die den Verlauf der Verhandlung in ihre Annalen aufnehmen würden, waren mit dem Oberrichter angekommen. Dort drüben lag das prächtige Schiff, mit dem Erzbischof Ultan von Armagh, der Oberste Apostel des Glaubens in den fünf Königreichen, mit seinen Beratern angereist war.
Nur die Vertreter Mumans waren zu Pferde auf dem Landweg gekommen. Welches Glück für Fidelma, daß sie diesen Weg gewählt hatten. Sie hatte in ihrem Leben viel mit dem Tod zu tun gehabt. Durch ihren Beruf schien er ihr ständiger Begleiter geworden zu sein. Schließlich stand der Tod jedem nicht fern, der in enger Verbindung zur Natur lebte und sich auf die Wirklichkeit des Lebens einließ. Zu sterben war so natürlich wie geboren zu werden, und dennoch fürchteten viele den Tod. Doch selbst diese Furcht war natürlich, dachte Fidelma, denn fürchten sich Kinder nicht oft davor, ins Dunkle zu gehen, und der Tod war unbekanntes Dunkel. Doch alle diese Überlegungen konnten ihre tiefe Trauer über den Tod von Cass nicht lindern. Es gab noch so vieles, wofür er hätte leben sollen, so vieles, was er hätte lernen sollen. Sie fühlte sich zutiefst schuldig, weil ihr Eigensinn zu seinem Tod geführt hatte. Hätte sie auf seine Warnung gehört und sich nicht sofort auf die Suche nach Salbach gemacht, dann könnte er noch am Leben sein.
Sie bedauerte, in ihren Diskussionen so hart mit ihm umgegangen zu sein, und klagte sich der Sünde der Eitelkeit an, weil sie stolz auf ihre geistige Überlegenheit gewesen war. Doch dazwischen fragte eine leise Stimme in ihrem Inneren, ob sie um Cass trauerte oder ihre eigene Sterblichkeit beweinte. Diese hartnäckige leise Stimme verursachte ihr Unbehagen. Ihr fiel ein Zitat aus ihrem Griechischunterricht ein, ein Vers von Bacchylides: »Der bitterste Tod für einen Sterblichen ist der, den er selbst vor sich sieht.«
Sie bemühte sich, nicht ihrer Traurigkeit nachzugeben, sondern ihre Gedanken auf die unmittelbar bevorstehende Aufgabe zu richten, und suchte Trost in einem Leitspruch ihres Lehrers, des alten Brehon Morann von Tara: »Wer in Erinnerung bleibt, ist nicht tot, denn wirklich tot ist nur, wer gänzlich vergessen ist.«
Die Sonne sank langsam hinter den fernen Bergen im Westen, und morgen zur Terz würde die Glocke alle Beteiligten in die Abteikirche rufen, in der das Gericht des Großkönigs den Anspruch Laigins aus dem Tod Dacáns anhören würde.
»Schwester Fidelma?« Sie hob den Kopf und sah Schwester Necht ein Stück abseits stehen und sie mit ernster Miene anschauen. »Ich möchte dich
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