03 - Tod im Skriptorium
Gefahr ist?«
Fidelma schüttelte langsam den Kopf. Pater Mel stellte sicherlich keine Bedrohung der gegenwärtigen Kleinkönige von Osraige dar und auch keinen Kristallisationspunkt für einen künftigen Aufstand.
»Nein. Für dich besteht keine Gefahr. Aber ich habe gehört, daß es einen jungen Erben Illans gibt und daß sein Vetter, offensichtlich du selbst, ihn in seiner Obhut hat.«
Pater Mels Miene blieb steinern.
»Es gibt keinen jungen Erben Illans auf dieser Insel«, sagte er bestimmt. »Darauf schwöre ich dir meinen heiligen Amtseid.«
Sollte diese lange, mühsame Reise wirklich ganz umsonst gewesen sein? Hatte Dacán sich geirrt? Doch Pater Mel konnte einen solchen Eid nicht schwören, wenn er nicht der Wahrheit entsprach.
»Gibt es noch etwas?« fragte Pater Mel barsch.
Fidelma stand auf, sie versuchte ihre Enttäuschung zu verbergen.
»Nein. Ich nehme das, was du sagst, als die Wahrheit hin. Du verbirgst keinen jungen Erben Illans.« Sie zögerte. »Hat dich ein Kaufmann namens Assíd aus Laigin aufgesucht?«
Pater Mel hielt ihrem Blick stand.
»Hier legen viele Kaufleute an. Ich kann mich nicht an alle ihre Namen erinnern.«
»Sagt dir der Name des Ehrwürdigen Dacán irgend etwas?«
»Als ein Gelehrter des Glaubens«, antwortete der Vorsteher unbefangen. »Sicherlich hat jeder schon von ihm gehört.«
»Weiter weißt du nichts von ihm?«
»Weiter weiß ich nichts«, bestätigte der Alte. »Also wenn das nun alles ist …?«
Fidelma verließ die Hütte als erste. Cass folgte ihr mit verwunderter Miene.
»Ist das alles?« fragte auch er. »Wir sind doch sicher nicht bloß deshalb hergekommen?«
»Pater Mel hätte nicht geschworen, es gäbe keinen jungen Erben Illans in diesem Kloster, wenn es ihn doch gäbe«, erklärte Fidelma.
»Mönche sollen auch schon gelogen haben«, erwiderte Cass düster.
Plötzlich sahen sie einen breitgesichtigen, kummervoll dreinblickenden Mönch mittleren Alters, der ihnen den Weg versperrte.
»Ich …«, setzte er zögernd an. »Ich hab’s mitgehört. Du hast gefragt, ob jemand aus Osraige hier war. Flüchtlinge.«
Im Gesicht des Mönchs spiegelten sich heftig widerstreitende Empfindungen.
»Das stimmt«, sagte sie. »Wie heißt du?«
»Ich bin Bruder Febal. Ich arbeite hier in den Gärten.«
Der Mönch holte plötzlich einen kleinen Gegenstand aus seinem Gewand hervor und überreichte ihn feierlich Fidelma.
Es war eine Kornpuppe. Sie war alt und abgenutzt, an den Gelenken war das Gewebe zerrissen, und die Füllung kam heraus.
Fidelma betrachtete die Puppe und wendete sie hin und her. »Was kannst du uns dazu sagen, Bruder?«
Bruder Febal zögerte, warf einen Blick zurück auf die Hütte des Vorstehers und winkte ihnen, ihm ein Stück zu folgen, um außer Sichtweite zu gelangen.
»Pater Mel hat euch nicht die ganze Wahrheit gesagt«, gestand er. »Der gute Pater hat Angst, aber nicht seinetwegen, sondern wegen seiner Schutzbefohlenen.«
»Ich war mir sicher, daß er sehr sparsam mit der Wahrheit umgeht«, antwortete Fidelma ernst. »Aber ich kann nicht glauben, daß er einfach lügen würde, wenn wirklich ein junger Erbe Illans auf dieser Insel wäre.«
»Es ist auch keiner da, also hat er die Wahrheit gesagt«, antwortete Bruder Febal. »Aber vor sechs Monaten brachte er zwei Jungen auf die Insel. Er erklärte uns, ihr Vater, sein Vetter, sei gestorben, und er werde sie für ein paar Monate beherbergen, bis ein neues Zuhause für sie gefunden wäre. Als es dem kleineren der Jungen hier langweilig wurde, wie das eben so ist mit Kindern, baute ihm der ältere Junge diese Kornpuppe zum Spielen. Als sie fortgingen, stellte ich fest, daß der Junge sie hiergelassen hatte.«
»Zwei Jungen. Wie alt waren sie?« fragte Fidelma verwundert.
»Der eine war ungefähr neun Jahre, der andere ein wenig älter.«
»Ein Junge, der demnächst das Alter der Wahl erreicht, war also nicht dabei?«
Bruder Febal verneinte.
»Es waren nur diese beiden Jungen hier. Sie stammten aus Osraige und waren Vettern von Pater Mel. Soviel weiß ich.«
»Warum erzählst du uns das alles?« fragte Cass mißtrauisch. »Der Klostervorsteher hat uns die Wahrheit nicht anvertraut.«
»Weil ich das Zeichen der Leibwache des Königs von Cashel erkenne und weil ich gehört habe, daß du, Schwester, eine Rechtsanwältin bist. Ich glaube nicht, daß ihr den Jungen etwas antun wollt. Vor allem sage ich euch das, weil ich fürchte, daß sie in großer Gefahr sind, und hoffe, daß
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