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HISTORICAL Band 0272

HISTORICAL Band 0272

Titel: HISTORICAL Band 0272 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: LYN STONE LOUISE ALLEN
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1. KAPITEL
    7. Juni 1815, abends
    In schwindelnder Höhe kauerte Jack Ryder über der Schlucht des reißenden Gebirgsbachs in einer Fensternische der alten Burgfeste. Aufmerksam spähte er in das von Kerzenschein schwach erhellte Gemach. Die Frau, die er beauftragt war zu finden, wanderte rastlos hin und her wie eine Raubkatze im Käfig.
    Während er sich in den Vorsprung drückte, um sicheren Tritt zu fassen, hielt er den Blick auf die Gestalt hinter den Bleiglasscheiben gerichtet. Die Schlucht, die sich unter den Burgmauern auftat, war in gnädiges Dunkel gehüllt, nur das Rauschen des Wildbachs drang zu ihm herauf. Er verbannte die Angst vor der tödlichen Gefahr, die ihm kalt über den Rücken kroch, sonst wäre er zu keiner Bewegung fähig gewesen. Seine genagelten Stiefel verursachten kratzende Geräusche auf dem rauen Gemäuer, die ihn einen Moment erstarren ließen – aber die Frau schien nichts gehört zu haben.
    Jack fasste sich und begann, das Seil um seine Brust zu entknoten, an dem er sich von der Wehrmauer hinuntergelassen hatte, schleuderte es von sich, löste damit die um die Zinnen geworfene Schlaufe, und das Seil fiel in schlängelnden Bewegungen in die Tiefe.
    Nun blieb ihm nur noch der Weg durch das Fenster, um sich aus seiner prekären Lage zu befreien, vorher aber wollte er sich die Frau im Zimmer genauer betrachten, die er nach England zurückbringen sollte – wenn nötig, unter Anwendung von Gewalt.
    Diese Entführung erfolgte in ihrem eigenen Interesse, und im Interesse beider Länder, wie man ihm in Whitehall erklärt hatte. Seine Auftraggeber hatten keinen Hehl aus ihrer Erleichterung gemacht, nicht selbst gezwungen zu sein, die Dame von der Wichtigkeit dieser Mission zu überzeugen. Man hatte ihm einige Auskünfte über Ihre Königliche Hoheit erteilt, die großherzogliche Witwe Eva de Maubourg. Intelligent, eigenwillig, eine Gegnerin Napoleons, hochmütig und gebieterisch, das waren die Hauptmerkmale ihres Charakters, die ihm die Herren in einer eilig einberufenden Sitzung vor zwei Wochen genannt hatten, in der er Instruktionen über seine Order erhalten hatte. Halb Französin, hatten sie mit düsteren Mienen ergänzt, als wäre das eine ausreichende Zusammenfassung aller Schwierigkeiten. Niemand hatte von ihrer Schönheit gesprochen.
    Da sie seit ihrer Hochzeit das Herzogtum nicht verlassen hatte, befürchteten seine Auftraggeber, dass es wohl sehr schwierig wäre, sie zu diesem Schritt zu bewegen – was Jack nicht sonderlich in Verlegenheit brachte, da er daran gewöhnt war, eine Lösung für die kompliziertesten Probleme zu finden.
    Aber niemand hatte ihr bezauberndes Äußeres erwähnt, die dunkelbraunen Haare, ihre kurvenreiche Figur, die geschmeidige Anmut ihrer Bewegungen, die denen eines gefangenen schwarzen Panthers glichen. Und Jack konnte sich kaum vorstellen, dass sie Mutter eines neunjährigen Sohnes sein sollte. Vermutlich eine optische Täuschung des dickwandigen Bleiglasfensters.
    Er hatte lange genug gewartet, um sich davon zu überzeugen, dass sie allein war. Jack verlagerte sein Gewicht und konzentrierte sich darauf, das Fenster zu öffnen. Keinesfalls wollte er daran denken, was passieren würde, wenn er das Gleichgewicht verlor. Die flache Seite seines Dolches glitt mühelos in die Fuge zwischen Holzrahmen und Fenster, das sich glücklicherweise nach innen öffnete, andernfalls wäre sein Vorhaben zum Scheitern verurteilt gewesen. Er drückte das Fenster behutsam auf, wartete eine Weile, bevor er es einen weiteren Spalt öffnete, um zu verhindern, dass die Frau durch ein Geräusch oder einen Luftzug aufgeschreckt wurde. Wenn sie schrie, würde das Unterfangen in einem Blutbad enden. Und er hatte nicht die Absicht, sein eigenes Blut zu vergießen.
    Die Großherzogin hielt in ihrer rastlosen Wanderung inne, sank auf einen Stuhl vor einem Schreibtisch, den Rücken dem Fenster zugekehrt, und barg das Gesicht in den Händen. Jack fragte sich, ob sie weinte. Und dann erschrak er mit beinahe tödlichen Folgen, als sie unvermutet die Faust auf die lederbezogene Schreibtischplatte niedersausen ließ und einen Schwall deftiger englischer Flüche ausstieß. Er konnte nur staunen über ihren Wortschatz und ihre bildhafte Ausdrucksweise.
    Höchste Zeit, seine unbequeme Kauerstellung auf dem schmalen Sims aufzugeben. Er hielt sich am Fensterrahmen fest, schwang die Beine nach innen und sprang. Aus einer Höhe von acht Fuß war es unmöglich, lautlos auf Steinfliesen zu landen.

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