030 - Die mordende Anakonda
darüber zu stolpern.
Die dunklen Gänge wurden nun hell ausgeleuchtet. Die Schlangen hinter den
Glaswänden der Terrarien schienen nervös zu werden. Sie schoben sich bis dicht
an die Scheiben vor.
Die Anakonda in ihrem riesigen Terrarium glitt aus dem Unterholz.
Altree grinste, als er kurz in den angrenzenden Keller ging und dort seine
beiden Gefangenen betrachtete.
Sioban McCorkan war bereits bei Bewusstsein. Der Maler Henrik van Heyken
befand sich noch immer in tiefer Ohnmacht. Auf seinem Hinterkopf zeigte sich
eine große, verkrustete Platzwunde.
Brutal riss Altree die junge Irin in die Höhe.
»So, Mädchen. Ich glaube, du kannst doch schon wieder auf eigenen Beinen
stehen, oder?«
Er löste der Studentin die Fußfesseln. Schwankend bewegte Sioban sich.
»Was wollen Sie von mir?«, flüsterte sie. Sie war noch immer etwas benommen
und sah das fremde Gesicht nur verschwommen vor sich.
» Gehen Sie «, stieß Altree hervor.
Er schob Sioban vor sich her. Taumelnd bewegte die Irin sich durch das Gewölbe.
Ihr Herzschlag setzte aus, als sie die hellerleuchteten Terrarien erblickte.
Und dann sah sie die riesige Anakonda, und schlagartig setzte ihre Erinnerung
wieder ein, als sie begriff, was für ein Ungeheuer sie in der Parterrewohnung
des alten Hauses gesehen hatte.
Sie wandte den Blick, ein Schauer lief über ihren Körper, und ein leises
Stöhnen entrang ihren bebenden Lippen. Altree wollte noch etwas sagen, aber er
wurde abgelenkt durch das Geräusch, das von oben aus der Wohnung kam.
»Hier unten, McCorkan !«, rief er
den Gang zurück, so dass seine Stimme laut und deutlich durch das Gewölbe
hallte.
Sioban zuckte zusammen, als sie ihren Namen hörte. »McCorkan?«, murmelte
sie. Weiter kam sie nicht. Die massige Gestalt stürzte die schmale Stiege
herab.
»Onkel – David?« Die beiden Worte waren wie ein Hauch aus dem Mund der
jungen Irin. Der Verleger stand da, als hätte ihn der Blitz getroffen.
»Sioban?« Altrees Augen weiteten sich. »Ihr kennt euch?«
»Das ist meine Nichte, Altree!« McCorkans Stimme zitterte. »Wie kommt sie
hierher, Altree?« Der Gefragte fuhr sich mit einer nervösen Geste über seine
schweißnasse Stirn.
»Ich habe Ihnen alles erklärt, McCorkan!« Der Verleger schluckte. »Es ist
unmöglich, Altree! Nehmen sie ihr die Fessel ab und lassen Sie sie laufen!«
Altree schluckte, als hätte er einen Kloß im Hals stecken. »Sie sind
wahnsinnig, McCorkan!« Die Stimme des Reporters klang seltsam verändert. »Sie
wissen nicht, was Sie da sagen!« Mit einer blitzschnellen Bewegung riss er das
junge, zitternde Mädchen an sich.
Ehe der Verleger sich versah, erblickte er schon die blitzende Klinge in
der Rechten Altrees. Mit einem Ruck durchschnitt der Reporter die Fessel Sioban
McCorkans. Doch Altree ließ das Mädchen nicht los. »Ich kann mir nichts mehr
erlauben, McCorkan«, presste Altree zwischen den Zähnen hervor. »Das Ganze ist
ein dummer Zufall, verdammt dumm, zugegeben! Aber das Schicksal spielt manchmal
im Leben eine große Rolle. Es hat Ihnen nichts ausgemacht, als ich Ihnen von
denen erzählte, die der Anakonda bereits zum Opfer fielen, McCorkan! Diesmal
ist es nun mal Ihre Nichte. Was ist dabei? Der Einsatz, mit dem ich spielte,
war zu groß, McCorkan. Ich musste gegen viel Widerstand ankämpfen. Es hätte
nicht viel gefehlt, und alles hier wäre geplatzt. Die Tochter von Donovan Odd
musste sterben, weil sie in den alten Brunnenschacht gefallen war, der zur
Belüftungsanlage dieses unterirdischen Terrariums gehört. Vor ein paar Wochen
erst verschlang die Anakonda eine Studentin, die zu neugierig geworden und auf
den unterirdischen Gang aufmerksam geworden war. Sie wollte das Geheimnis um
James Beam offenbar lösen. Sie fühlte instinktiv, dass hier etwas nicht in
Ordnung war. Sie lief in eine Falle. Das Mädchen Gretal wurde ein Opfer der
Anakonda.
Was weiter geschah, haben wir gerade erst diskutiert, vorhin im Hotel. –
Und nun ist eben Ihre Nichte an der Reihe! Was macht's, McCorkan? Die Hasselblad ist aufgebaut. Ich brauche
nur noch auf den Auslöser zu drücken, und zum ersten Mal wird das auf die
Platte gebannt, was nur ich schon gesehen habe. Und nun werden es auch noch
andere Menschen zu sehen bekommen. Und alles bekommt einen sensationellen
Anstrich, finden Sie nicht auch? Ausgerechnet Ihre Nichte! Sie können eine
ganze Erpresserstory dazu erfinden, und man wird Ihnen sogar glauben. James
Beam, der geheimnisvolle Einsiedler von Inishkea, hat
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