030 - Die mordende Anakonda
sich dem Ort des grausigen Geschehens zu nähern. Etwas
zischte. Aber es war nicht die Schlange. Das Geräusch kam von dem Mann, der so
etwas Ähnliches wie eine Sprühdose in der Hand hielt. Henrik? Er war es nicht!
Wie durch eine Nebelwand sah sie die schemenhaften Umrisse. Dann wurde die
Gestalt vor ihren Augen klarer.
Ein älterer Mann! Deutlich war zu sehen, dass er um das rechte Armgelenk
einen frischen Verband trug.
Vor den Augen der jungen Irin begann sich alles zu drehen. Sie merkte, dass
sie etwas einatmete, das sie nicht kannte. Sie bekam noch mit, dass der Kopf
der riesigen Anakonda wie vom Blitz getroffen vor ihr hersauste. Der Boden
unter dem Körper der zitternden Frau erbebte. Der Druck um ihre Beine ließ
nach.
Dieser riesige, schwarze Rachen, der sie zu verschlingen drohte – wo war
er?
Mehr begriff Sioban McCorkan nicht mehr. Alles Gefühl wich aus ihrem
Körper. Eine tiefe, alles verschlingende Schwärze umfing sie.
Reglos lag sie unter dem schlaffen Schwanz der Anakonda. Sie merkte nicht
mehr, wie der Mann, der aus den Kellerräumen gekommen war, sich bückte und sich
abmühte, den Schwanz der betäubten Schlange auf die Seite zu heben.
●
Auf dem Gesicht von James Beam lag ein teuflisches Grinsen.
»Diesmal geht nichts mehr schief«, murmelte er kaum hörbar, und selbst wenn
jemand es vernommen hätte, wäre diese Bemerkung für einen stillen Beobachter
der Szene ein wirkliches Rätsel gewesen ...
James Beam trug die wie leblos in seinen Armen liegende Sioban McCorkan die
Kellertreppe hinunter. Es ging durch einen gewölbeähnlichen Gang. Weit geöffnet
war ein alter, schwerer, vom Wurm durchlöcherter Eichenschrank, der scheinbar
den Abschluss einer Kellerwand bildete. Doch Beam betätigte einen verborgenen
Mechanismus und konnte mit dem Fuß bequem die Schrankrückwand auf die Seite
schieben. Düster und drohend dehnte sich ein niedriger Tunnel vor ihm aus, der
an manchen Stellen nur mit schweren, verschimmelten Pfosten abgestützt war.
Dann veränderte sich der Tunnel. Mit jedem Schritt, den Beam ging, wurden die
seitlichen Wände glatter, und die Decke über ihm war jetzt richtig ausgebaut.
Es war der Verbindungsgang, über den Beam seine beiden abseits gelegenen
Behausungen erreichen konnte.
Nach etwa hundert Metern verzweigte sich der unterirdische Gang. Links ging
es in das Kellergewölbe des zweiten Hauses, zu den in den Wänden eingelassenen
Terrarien mit den Reptilien.
Schummrig flackernd war das ferne Licht der lautlos brennenden Fackeln
wahrzunehmen.
Beam schleppte die Bewusstlose in einen muffigen Raum, band sie an Händen
und Füßen und ließ sie dann einfach achtlos liegen.
Das schwerste Stück Arbeit aber lag noch vor ihm. Es musste ihm gelingen,
die betäubte Anakonda, die seit achtzehn Stunden in Freiheit war, wieder
dorthin zurückzubringen, wohin sie gehörte: In das unterirdische Gewirr der
Gänge und das für sie bestimmte Terrarium.
Dieser Riesenleib musste transportiert werden. Er musste aus dem Haus
verschwinden, ehe der derzeitige Bewohner, der holländische Maler Henrik van
Heyken, zurückkehrte.
Beam hatte keine Hilfe. Er besaß nur zwei Hände, war auf seine eigene
Körperkraft angewiesen und auf die Mithilfe einer mit einem gewaltigen Haken
versehenen Stange.
Zurückgekehrt warf er den Kopf der wie leblos liegenden Riesenschlange mit
der Hakenstange herum. Er zog den Körper nach, Stück für Stück.
Die Augen des schweigenden Mannes glühten wie unter einem inneren Licht.
Als er den schweren Körper so weit herumgezogen hatte, dass die Schlange die
Kellertreppen beinahe allein hinunterrutschte, war erst ein Minimum der Arbeit
geleistet, die noch vor ihm lag.
Er nahm endlich das Tuch vom Gesicht, das er vor Mund und Nase getragen
hatte, um sich vor dem Betäubungsgas zu schützen.
Die Anakonda bewegte sich.
Beam atmete erleichtert auf. Das vereinfachte seine Aufgabe. Die Schlange
hatte eine ordentliche Portion des auf sie abgesprühten Gases abbekommen, und
sie würde noch zwei oder auch drei Stunden unter den Nachwirkungen zu leiden
haben. Er wusste das aus Erfahrung. Aber die Bewegungen, die von dem Reptil
völlig unbewusst ausgeführt wurden, sorgten dafür, dass der lange, unhandliche
Körper sich oft selbst vom Boden emporhob, so dass Beam ihm nur noch mit der
Stange die maßgebliche Richtung zu geben brauchte.
Auf diese Weise erreichte er die Kellertür, und er mühte sich weiter damit
ab, die Anakonda durch den weitgeöffneten
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