030 - Hexensabbat
Tabakladen und schaute den Passanten nach, die vorüberliefen. Endlich faßte ich mir ein Herz und fragte eine ältere Dame nach Rupert Schwinger.
Die Alte lächelte. »Den kannst du leicht finden. Siehst du das gelbe Haus dort drüben? Dort wohnt er.«
»Herzlichen Dank«, entgegnete ich und lief quer über den Platz auf das Gebäude zu. Vor dem Eingang blieb ich stehen. Das Tor stand offen, und so trat ich nach einigem Zögern ein, durchquerte den Hausflur und erreichte den Hof. Eine etwa vierzigjährige Frau hängte dort Wäsche auf.
»Suchst du wen?« fragte sie.
Ich erkundigte mich nach Rupert Schwinger, und sie wies mir den Weg in den ersten Stock. Ich bedankte mich artig und stieg die Stufen hinauf. An einer weißen Tür war ein Messingschild befestigt, auf dem Schwinger stand. Ich hatte kaum die Klingel gedrückt, als die Tür aufgerissen wurde und Rupert im Rahmen auftauchte. Er schaute mich überrascht an.
»Was willst du von mir?« fragte er mich ungehalten. »Ich habe dir gesagt, daß ich …«
»Hör mir zu«, unterbrach ich ihn. »Ich habe mit Vera über dich gesprochen. Sie zwang mich, ihr deinen Namen zu verraten, und drohte, dir einen ordentlichen Denkzettel zu verpassen, weil du schlecht über sie gesprochen hast. Ich wollte dich warnen, deshalb bin ich gekommen.«
Er runzelte die Stirn. »Es sieht tatsächlich so aus, als hätte ich mich in dir getäuscht, Coco. Hat sie gesagt, was sie vorhat?«
»Nein«, antwortete ich schnell. »Aber ich werde versuchen, dir zu helfen. Ich werde schon herausbekommen, was sie beabsichtigt. Treffen wir uns morgen am See?«
Rupert nickte. »Einverstanden.«
Ich verabschiedete mich, wandte mich um und rannte hastig die Stufen hinunter. Ich verließ das Haus und lief auf schnellstem Wege zurück zum Schloß.
Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis ich es erreicht hatte. Ich haßte das Schloß. Die großen, kalten Räume darin waren mir unheimlich. Und ich störte mich an den magischen Fallen, die es normalen Menschen unmöglich machten, hineinzugelangen.
Es dauerte nur wenige Sekunden, und das Tor schwang wie von unsichtbarer Hand bewegt auf. Ich trat in den Schloßhof und ging an dem alten Ziehbrunnen vorüber. Der Stiegenaufgang war schmal und feucht. Im ersten Stock wandte ich mich nach rechts und schritt den langen Gang entlang, der zu meinem Zimmer führte. Es war kühl und dämmrig. Meine Schritte hallten überlaut durch das verlassene Gebäude. Ich hoffte, weder Vera noch Sandra zu begegnen, bevor ich mein Zimmer erreichte. Doch meine Hoffnung erfüllte sich nicht.
Eine Tür wurde aufgerissen, und Sandra Thornton trat heraus. Sie stemmte die Hände in die Hüften und blickte mich an.
Ihr Alter war schwer zu schätzen, doch aus ihren Erzählungen hatte ich geschlossen, daß sie mindestens zweihundert Jahre unter den Menschen lebte; sie sah aber höchstens wie dreißig aus. Ihr Gesicht war bleich und rund wie der Vollmond. Das rotbraune Haar fiel in unzähligen Locken über den schmalen Rücken. Wimpern und Brauen hatte sie stark geschminkt, und der volle Mund glänzte blutrot vom modischen Lippenstift. Sie trug ein tiefausgeschnittenes, dunkelgrünes Kleid, das ihre üppigen Formen zur Geltung brachte.
»Wo hast du gesteckt, Coco?« fragte sie scharf.
»Ich war spazieren und habe Vera getroffen.«
»Du weißt, daß es dein Onkel nicht gerne sieht, wenn ihr das Schloß verlaßt!« Sie sprach mit einem starken englischen Akzent, der mich anfangs zum Lachen gereizt hatte.
»Ich kann doch nicht den ganzen Tag hier herumsitzen«, sagte ich unwillig.
»Wenn du weiterhin so wenig Ambitionen zum Lernen zeigst wie bisher, dann wirst du das Schloß sehr lange nicht mehr verlassen dürfen. Haben wir uns verstanden, Coco?«
Ich nickte.
»Ich kann auch anders«, sagte sie. »Bis jetzt hast du mich noch nicht richtig kennengelernt, aber mach nur so weiter, und du wirst dein blaues Wunder erleben.«
»Ich werde mich bessern«, versprach ich lahm.
»Das hoffe ich! Und jetzt geh auf dein Zimmer und zieh dich um! Cyrano hat einen neuen Schüler bekommen. Sein Name ist Pietro Salvatori, und er wird mit uns zu Abend essen.«
Der Name sagte mir nur wenig. Ich kannte mich nicht besonders gut aus in der Schwarzen Familie. »Woher kommt er?«
»Aus Rom. Er gehört einer sehr einflußreichen Vampirsippe an. Also sei freundlich zu ihm!«
Ich ging an Sandra vorbei und betrat mein Zimmer. Seit meiner frühesten Kindheit war ich mit allerlei unheimlichen Gestalten
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