030 - Hexensabbat
bedächtig. Sie mußte einen Ausweg finden. Vier Wochen hatte sie Zeit. Es mußte ihr gelingen, dem Dämonenkiller eine Nachricht zukommen zu lassen. Coco drückte die Zigarette aus, und dabei fiel ihr Blick auf das Telefon neben dem Fernseher. Sie hob den Hörer.
»Ja, Coco?« meldete sich Toths Stimme.
Wütend preßte sie die Lippen zusammen. Das Telefon war nur ein Hausanschluß.
»Wie fühlst du dich, Coco? Hast du Hunger?«
»Der Schlag soll Sie treffen«, sagte sie ungehalten und warf den Hörer auf die Gabel.
Es dauerte nur wenige Sekunden, da wurde die Tür geöffnet. Toth trat ein. Er trug einen dunklen Anzug, der seine gelbe Haut noch stärker zur Geltung brachte. Toth sah uralt aus; wie eine zum Leben erwachte Mumie. Offiziell war er Rechtsanwalt, doch innerhalb der Schwarzen Familie fungierte er als eine Art Schiedsrichter.
Er blieb in der Tür stehen. »Ich kann mir gut vorstellen, wie du dich fühlst. Doch ich kann dir nicht helfen. Ich wurde als Schiedsrichter bestimmt. Bis jetzt habe ich meine Funktion immer zur Zufriedenheit aller Beteiligten ausgeübt.«
»Lassen Sie mich in Ruhe!«
»Wie du willst, Coco. Wir können uns ja morgen unterhalten. Wir haben vier Wochen Zeit.« Er ging aus dem Zimmer und schloß leise die Tür.
Coco ging unruhig im Zimmer auf und ab und blieb vor dem Bücherregal stehen, in das auch eine kleine Bar eingebaut war, aus der sie eine Flasche Bourbon holte. Nachdem sie ein Glas halbvoll gegossen hatte, setzte sie sich in den Fernsehstuhl. Sie nippte am Whisky und schloß die Augen. Wer wohl der Tote war, der aus seinem Grab auferstehen sollte, falls sie den Willen ihres Vaters nicht erfüllte?
Sie stellte das Glas ab, überkreuzte die Beine und erinnerte sich an ihr Leben innerhalb der Schwarzen Familie, an ihren Vater, ihre Geschwister und auch an den Grafen Cyrano von Behemoth, der ihr Patenonkel war und sie erzogen hatte – damals, vor langer Zeit.
Vergangenheit – Cocos Erinnerung
Zum ersten Mal sah ich Rupert Schwinger an einem schwülen Julitag. Die Sonne stand hoch am Himmel, und die Luft flimmerte über dem kleinen See. Der blonde Junge schlüpfte aus seinem Hemd und legte es über einen umgestürzten Baumstamm. Dann setzte er sich auf den Boden, öffnete die Schultasche, um ein belegtes Brot daraus hervorzuholen, und begann mit herzhaftem Appetit zu essen. Rupert war nicht älter als vierzehn Jahre, aber für sein Alter überraschend groß und kräftig.
Als er das Brot verspeist hatte, bückte er sich und holte unter dem Baum eine Angelrute hervor. Aus der Hosentasche zog er eine Blechbüchse und öffnete sie. Ein halbes Dutzend dicker Würmer krümmten sich darin. Er packte einen von ihnen und spießte ihn auf den Angelhaken. Dann stand er auf, warf die Angel aus und pfiff vergnügt vor sich hin.
Als er meine Schritte hörte, wandte er den Kopf und kniff die Augen zusammen. Interessiert ließ er seinen Blick über mein pechschwarzes Haar streifen, das mir in langen Strähnen lose über die knochigen Schultern fiel. Ich habe damals nicht gerade berauschend schön ausgesehen. Mein Körper schien nur aus langen Beinen zu bestehen; alles an mir war eckig und dünn, und unter meinem weißen Baumwollkleid zeichneten sich die winzigen Ansätze meiner Brüste ab. Das Hübscheste an mir waren noch die großen, dunkelgrünen Augen, mit denen ich den Jungen forschend betrachtete.
»Hallo!« grüßte ich und blieb vor ihm stehen.
»Hallo«, echote er. »Wer bist du denn?«
»Ich heiße Coco. Und du?«
»Rupert Schwinger.«
»Darf ich mich setzen?« Ich deutete auf den umgestürzten Baumstamm.
»Natürlich«, sagte Rupert großzügig.
Ich ließ mich auf dem Stamm nieder und zupfte verlegen an meinem Rock herum. Bisweilen warf ich Rupert einen scheuen Blick zu.
»Wie alt bist du, Coco?«
»Elf.«
»Du siehst älter aus«, stellte er sachverständig fest. Wie ich später erfuhr, hatte er sich noch bis vor einem halben Jahr überhaupt nicht für Mädchen interessiert, sondern sie für hoffnungslos dumme Geschöpfe gehalten, die bei jeder Kleinigkeit losheulten und ständig irgend etwas zu jammern hatten. Doch inzwischen hatte er seine Meinung geändert.
Er steckte die Angelrute in eine Bodenvertiefung und sicherte sie mit einem großen Stein. Dann drehte er sich um, vergrub seine Hände in den Hosentaschen und wippte mit dem Oberkörper hin und her. Wahrscheinlich wollte er mich beeindrucken – und ich muß zugeben, daß es ihm hervorragend
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