0302 - Der Unhold
denn die anderen stellten das Feuer ein. Wir blieben liegen und warteten die nächsten Sekunden ab, ob sich da etwas tun würde.
Es blieb ruhig.
Dann klang wieder die Stimme auf. Kratzig, kaum zu verstehen, aber schon schärfer als beim erstenmal. Ich verstand etwas von »Über Bord springen« und dachte darüber nach, was die andere Seite wohl meinen könnte.
Wasser drang in unser Boot.
Die Geschosse hatten an einigen Stellen Lecks geschlagen, so daß es eigentlich nur eine Frage der Zeit war, wann wir sinken würden.
Deshalb konnten wir auch den Befehlen nachkommen.
»Wir sollen raus!« zischte ich meinen Freunden zu.
»Und dann?« fragte Suko. »Sollen wir unter Wasser weiterschwimmen?«
»Das wäre nicht schlecht. Nur leider nicht zu machen. Wir sind von der Küste zu weit weg, außerdem haben die anderen Gewehre.« Mein Argument zog.
Wir erhoben uns.
Die Arme hielten wir dabei in die Höhe gereckt, damit die anderen sahen, daß wir nicht an Widerstand dachten.
Allmählich bekamen wir auch feuchte Füße. Der Wasserdruck war zu stark. Er erweiterte die Öffnungen. Der Wulst kam mir vor wie eine Reihe von kleinen Springbrunnen.
Ich stellte mich als erster hin. Nicht einfach in dem schwankenden Boot, wobei ich die Hände nach oben hatte.
Es war ein schlechtes Gefühl, im Kegel des Scheinwerfers zu stehen und auf dem Präsentierteller zu sein, denn man konnte mich mit einer Kugel wegfegen.
Dementsprechend sah es auf meinem Körper aus. Dieses Gefühl hatte eine dicke Gänsehaut bei mir hinterlassen, und auch mein Magen zog sich langsam aber sicher zusammen.
An den Schwankungen des Bootes stellte ich fest, daß auch meine Freunde aufgestanden waren, und Suko murmelte hinter mir: »Das gefällt mir alles überhaupt nicht.«
Da stimmten Mandra und ich ihm im Innern zu, aber was sollten wir machen? Es ging nun mal nicht anders, wir mußten uns zunächst in unser Schicksal fügen.
Der Lichtschein wurde am anderen Schiff bewegt und begann ein wenig zu wandern. Wir standen nicht mehr direkt in seinem Zentrum, sondern mehr am Ende, so daß auch die Blendung nicht ganz so stark war und wir nach vorn schauen konnten.
Auf den Wellen glänzte die Lichtfülle. Sie bewegte sich hin und her, weil auch das Wasser nie ruhig stand, und auch unser Schlauchboot wurde im Rhythmus der Bewegungen auf- und niedergehoben.
Wieder hörten wir die verzerrte Stimme aus dem Megaphon. »Ins Wasser!«
Das verstand ich, nickte zu meinen Freunden rüber und sagte:
»Jetzt wird es ernst, wir springen.«
»Okay, John, du zuerst.« Suko hatte gesprochen, als ich mich bereits abstieß und kopfüber im Wasser des Golfs landete.
Italien im Dezember ist zwar nicht so kalt wie der Norden Englands, doch die Temperaturen reizten nicht, freudig schwimmen zu gehen. Das Wasser war kalt. Ich bekam trotz der wetterfesten Kleidung einen leichten Schock, als ich die Kälte spürte, die meinen Körper wie ein Vorhang umfing.
So schnell wie möglich tauchte ich wieder auf, holte tief Luft und sah mich wieder geblendet, denn abermals hielt mich der Kegel fest.
»Zum Schiff!«
Der Befehl war nicht zu überhören. Also kraulte ich los. Suko und Mandra hielten sich an meiner Seite. Ich sah sie nicht, weil ich nach vorn schaute, aber mit ihren Arm- und Beinbewegungen schäumten sie während des Schwimmens das Wasser auf.
Wir hielten uns nebeneinander, während der Lichtkegel den Weg wies und unser Schlauchboot allmählich voll Wasser lief.
Wellen rollten an, überspülten uns, wir kämpften uns weiter durch und sahen nach vielleicht zwei Minuten die Bordwand vor uns auftauchen.
Etwas fiel von der Wand nach unten und klatschte ins Wasser. Es war eine kleine Strickleiter. Sie hatte kaum die Wasserfläche berührt, als mich eine Welle erfasste und auf die Bordwand zuhob. Ich prallte mit der Schulter dagegen, verschluckte vor lauter Schreck Wasser, drehte mich, und es gelang mir, die Strickleiter zu fassen, bevor ich von einer anderen Welle wieder weggeschwemmt werden konnte.
Geschafft!
Die Bordwand war nicht sehr hoch. Sie bestand aus Holz. Mit dem Knie schlug ich zweimal dagegen und wußte, auch ohne das Schiff betreten zu haben, auf welch einem Kahn ich gelandet war.
Ein Kutter, wie er von den Leuten benutzt wurde, die in den Golf fuhren und vom Fischfang lebten.
Allerdings gab es auch Ausnahmen. Gewissermaßen unter dem Deckmantel der Fischkutter fuhren auch die Männer aufs Meer hinaus, die ihren Lebensunterhalt durch Schmuggel bestritten.
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