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0302 - Der Unhold

0302 - Der Unhold

Titel: 0302 - Der Unhold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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liebte gerade die Nacht.
    In der Nacht war alles anders.
    Obwohl die meisten Menschen behaupteten, alles Leben würde einschlafen, war Rosa Beluzzi anderer Meinung. Die sensitiv veranlagte Frau spürte genau, daß in der Nacht das eigentliche Leben erst erwachte. Und zwar ein Leben hinter den Kulissen, das sich tagsüber verborgen hielt und bei Anbruch der Dunkelheit aus seinen geheimnisvollen Verstecken kam.
    Auch dann war es nicht zu sehen. Man konnte es nur spüren und fühlen, wie es durch die engen Gassen schlich, in jedes Haus drang und über die schlafenden Menschen strich.
    Rosa hatte es einmal als Odem der Hölle bezeichnet, und dabei blieb sie auch.
    Deshalb war sie des Nachts so gern unterwegs. Sie wollte diesen Atem spüren, ihn regelrecht in sich aufsaugen und spüren, was er ihr alles zu sagen hatte.
    Ob Kälte oder Hitze, nichts hielt sie von ihren einsamen Spaziergängen ab, und auch in dieser Nacht war sie wieder unterwegs.
    Vorsichtig öffnete sie die Tür ihres kleinen Hauses, das, wie viele andere auch, eingeklemmt zwischen den alten Bauten stand.
    Wie immer knarrte die Tür in den Angeln, und wie immer schaute sich Rosa zunächst vorsichtig um.
    Ihr Blick glitt zuerst nach rechts. Dort fiel die Gasse ab. Sie endete erst hinten an der alten Müllkippe und war zwischendurch von einigen Treppen unterbrochen.
    Ein paar Meter weiter gab es eine Brücke. In Höhe der ersten Etage verband sie zwei Häuser, die sich gegenüberstanden. Sommertags war die Brücke belagert. Die Männer trafen sich dort und tranken ihren roten Wein.
    Jetzt war die Brücke leer.
    Links führte die Straße weiter bis zu einem kleinen. Platz. Die Plaza, wie er von den Frauen gern genannt wurde. Es gab dort einen kleinen Brunnen, an dem die Frauen früher ihre Wäsche wuschen.
    Leer wirkte die Straße.
    Rosa wußte es besser. Ihr war genau bekannt, daß es zahlreiche Dinge gab, die auch in der Nacht sehr wohl ihre Augen offen hielten. Nur sah man diese Dinge nicht.
    Wenigstens nicht als normaler Mensch. Da mußte schon jemand kommen wie sie und die Welt mit anderen Augen betrachten, gewissermaßen mit dem Zweiten Gesicht.
    Rosa Beluzzi hatte sich der kalten Witterung gemäß angezogen.
    Über dem langen Kleid und der Strickjacke trug sie einen ponchoähnlichen Mantel, den sie fest um ihre mageren Schultern zerrte.
    Ein Kopftuch schützte sie zusätzlich vor dem kalten Wind, und an den Füßen trug sie dicke Schuhe. Das Gesicht wirkte wegen des zusammengezogenen Kopftuchs noch schmaler, als es ohnehin schon war, und niemand hörte ihre Schritte, denn unter den Schuhen befanden sich dicke Kreppsohlen.
    So ging sie die schmale Gasse hinab. Eine alte Frau, wie es viele in Neapel gab.
    Aber sie war etwas Besonderes.
    Diese Nacht war eine andere. Irgendwie fühlte sie das. Etwas lag auf der Lauer, etwas würde kommen, und das hatte sie bei einer ihrer Meditationen genau gespürt.
    Ein Windstoß fuhr durch die Gasse und brachte fauligen Geruch mit. Eine Mischung aus stinkendem Fisch und Teer oder Öl.
    Über ihr klapperten einige alte Fensterläden. Sie warf nicht einmal einen Blick nach oben. Auch als die Gestalt neben ihr erschien, sagte sie nichts.
    Es war der alte Pietro, ein Witwer, der sich zu ihr gesellte.
    Wie immer roch er nach Wein.
    »Wo willst du hin, Rosa?«
    »Weg.«
    »Soll ich mitgehen?«
    »Nein, danke!«
    Pietro blieb an ihrer Seite. Die Rotweinfahne wehte aus der Mitte des Bartgestrüpps, wo sich ein Mund befinden mußte. »Die Nacht, Rosa, ist immer gefährlich.«
    »Mir tut niemand etwas. Ich kenne die Leute hier. Sie sind alle sehr nett. Und jetzt laß mich allein!«
    Pietro ließ sich nicht abschütteln. »Sprichst du mit den Geistern der Nacht?«
    »Vielleicht.«
    »Ich kenne sie!« flüsterte der alte Mann und zog seine Schultern hoch. »Damals, als ich noch zum Fischen fuhr, habe ich mich oft mit ihnen unterhalten, Rosa. Weißt du das?«
    »Ja, du hattest es mir erzählt.«
    »Dann bestelle den Geistern einen schönen Gruß von mir. Sag ihnen, daß der alte Pietro bald zu ihnen kommen wird. Sie sollen ihm schon einmal ein schönes Plätzchen freihalten. Wirst du das für mich tun, alte Freundin?«
    »Natürlich mache ich das.«
    »Danke, danke! Ich danke dir.« Seine Hände strichen über den Rücken der Frau, bevor er sich ebenso lautlos wieder zurückzog, wie er gekommen war.
    Dies geschah dicht an der ersten Treppe. Die Stufen nahmen die Breite der Gasse ein. An der rechten Seite existierte noch ein

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