0305 - Im Rattentempel
diesen Strom. Das Wasser stank widerlich.
Über ihm lag ein leichter Dunst, der einen ekelhaften Geruch verbreitete.
Auch der Himmel wirkte grau und die Sonne blaß.
Die Menschen starrten uns an. Einige Händler sahen wir ebenfalls. Sie versuchten mit bittenden Gesten, uns ihre Waren anzubieten. Wir gingen weiter.
Wir erlebten die schlimmste Art der Prostitution, als Mütter ihre Kinder auf die Straße schickten. Ich preßte die Lippen zusammen, auch mein Freund Suko bekam ein hartes Gesicht.
Dies hier war eine Welt, von der wir bisher nur wenig gehört und gesehen hatten. Mal im Fernsehen einen Bericht, das war alles.
Keine Reportage der Welt konnte das Elend dieser Menschen so echt wiedergeben, wie man es hier sah.
Suko und ich waren nicht allein. Wir hatten einen kompetenten Begleiter. Es war Mandra Korab, der uns überhaupt erst in diese Gegend geführt hatte. Um die hintere Hälfte seiner linken Hand hatte er einen Verband gewickelt. Ein Andenken aus Neapel, als wir gemeinsam auf der Suche nach den sieben Dolchen den Unhold gejagt hatten.
Eine Wahrsagerin namens Rosa Beluzzi hatte dem Inder ein Messer in den Handrücken gejagt, und Mandra Korab hatte einige Zeit im Krankenhaus verbringen müssen.
Uns war es nicht gelungen, die restlichen Dolche zu bekommen.
Drei besaßen wir. Einen vierten hatten wir ebenfalls gehabt. Einer Frau abgenommen, die auf den Namen Erna Lengerich hörte und auf der Insel Sylt wohnte. Durch sie war es uns gelungen, einem Vampir auf die Spur zu kommen, der unter dem Namen Baron von Tirano seltsame Feste feierte. Er hatte eingeladen zum Maskenball der Monster. Wir waren unaufgefordert hinzugekommen und hatten erlebt, wie sich ein Vampir mit den Ratten verständigen konnte. Der Blutsauger war lange Jahre eingemauert gewesen.
Die Ratten hatten ihn befreit, und ihm war es gelungen, sich mit diesen Tieren zu verständigen. Er wußte genau, was sie wollten, er kannte ihre Sprache, und von ihm erfuhren wir, daß er auf der Suche nach der Rattenkönigin war, die irgendwo in Indien lebte. Er brauchte den Dolch, um die Königin zu erwecken, und es war ihm nicht nur gelungen, uns zu entkommen, sondern uns auch den Dolch wieder abzunehmen.
Jetzt mußten wir ihn suchen.
Natürlich war Mandra Korab genau der richtige Mann für uns. In Indien kannte er sich aus. Er lebte dort und war im Laufe seines Lebens kreuz und quer durch den gewaltigen Subkontinent gereist.
Bevor wir den Flug nach Indien unternahmen, hatten wir mit Mandra im Krankenhaus gesprochen. Wir waren ihm gerade recht gekommen.
Es hatte schon Streit gegeben, weil er wegwollte und die Verantwortlichen ihn nicht ließen. Auf eigene Gefahr wurde er entlassen, und wenn ihn jemand nach seiner Verletzung fragte, antwortete er sofort: »Alles wieder klar.«
Das war ein wenig gelogen. Sehr oft sah ich, wie Mandra Korab versuchte, seine Hände zu bewegen. Vor allen Dingen wollte er die Linke geschmeidig machen. Er krümmte die Finger, streckte sie, krümmte sie wieder und begann das Spiel von neuem.
Eines Kommentars enthielten wir uns.
Wie gut es war, daß Mandra wieder an unserer Seite stand, erkannten wir daran, daß er genau Bescheid wußte. Die Ratten waren ihm nicht unbekannt. Er wußte von den gefährlichen Ratten-Kulturen und hatte auch von einer Rattenkönigin gehört.
Um jedoch mehr und Details zu erfahren, wollten wir einen Mann aufsuchen, den Mandra kannte und als einen Spezialisten bezeichnete.
Er wohnte in den Slums und wurde, das hatten wir von unserem Freund erfahren, nur der Weise genannt.
Was uns der Weise erklären und antworten würde, darauf waren wir gespannt.
Mandra hatte uns gewarnt. Dennoch war das Elend kaum zu beschreiben. Kinder schauten uns aus großen Augen an. Der Hunger stand in ihren Gesichtern geschrieben, und ich ballte in ohnmächtiger Wut die Hände. Da wurden Milliarden für die Rüstung ausgegeben, auch in Indien, und diese Kinder wußten nicht, ob sie die nächste Woche noch erleben würden.
Ein Wahnsinn war das.
Mandra blieb plötzlich stehen. Auch wir verhielten unseren Schritt.
Wir hatten nahe einer Kreuzung gestoppt.
»Hier muß er irgendwo wohnen«, sagte uns der Freund.
Suko und ich kannten uns nicht aus. Alles sah irgendwie gleich aus.
Da stand Hütte an Hütte, eine ärmlicher als die andere. Menschen hockten auf alten Eimern vor ihren Bauten und schienen auf den Tod zu warten.
Kinder spielten im Schlamm. Frauen befanden sich auf der Suche nach Nahrungsmitteln, und Händler
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