0309 - Der Horror-Alchimist
als Jakob Kellermann mit brummendem Schädel zu sich kam.
Er fand sich auf dem Boden seines Kellerlaboratoriums liegen, durch das ein Orkan getobt zu haben schien. Fast die gesamte Glaskolbenapparatur und viele andere, unersetzbare Gerätschaften lagen zerstört und in alle Richtungen zerstreut umher. Dampfende Flüssigkeiten benetzten die Steinfliesen und erzeugten unangenehme Gerüche, die zum Husten reizten.
Auf dem Seziertisch lagen die sterblichen Reste des Erhängten.
Kellermann setzte sich auf.
Schwindel raubte ihm sekundenlang die Sinne. Vom Magen stieß Übelkeit auf und drohte seinen Körper zu überschwemmen.
Erst jetzt merkte er, daß er eine leere Schnapsflasche in der Hand hielt. Kopfschüttelnd akzeptierte er, daß er völlig ausgeklinkt sein mußte, nachdem sein größter Traum unerfüllt geblieben war. So einfach, wie er es sich vorgestellt hatte, schien man dem Geheimnis des Lebens nicht auf die Spur kommen zu können… Er mußte einen völligen Blackout gehabt haben. Es würde Wochen und Monate kosten, das Zerstörte zu ersetzen.
Ich bin ein Narr, dachte Kellermann. Ein törichter Narr.
Er richtete sich taumelnd auf.
Johannes war nicht da. Wahrscheinlich hatte er Reißaus genommen, als Kellermann mit der Demontage der Alchimistenküche begann…
Der selbsternannte Medicus wankte zur Treppe, die aus dem Gewölbe führte. Er wollte gerade den Fuß auf die erste Stufe setzen, als das Grauen über ihm zusammenschlug!
***
Das Leben war nur ein übler Traum. Der Tod war die Wahrheit, das Erwachen aus dem schrecklichen Traum, die Erlösung! dachte Giuseppe des Balsamo fasziniert. Die Befreiung von den Fesseln des Fleisches…
Er war gestorben!
Er wußte es sicher.
Er war tot… Und doch schien das Leben erst jetzt für ihn zu beginnen! Er fühlte sich leichter, mächtiger, glücklicher als je zuvor, so lange er zurückdenken konnte!
Unter sich sah er seinen kreidebleichen, verhärmten, steifen Körper liegen. Er schwebte darüber, wie auf einer Wolke. Er sah Di Bartolome in Begleitung eines Priesters und eines Pagen. Die drei verrichteten still, ohne große Anteilnahme ihr Werk. Balsamo hörte sie reden. Ihren Worten entnahm er, daß sie froh waren, daß es nun vorbei war.
Vorbei?
Balsamos Seele erschauerte, als er an den Pakt mit dem Höllischen dachte. Erst jetzt, da er gestorben war, wurde ihm die volle Tragweite seines Handelns bewußt. Seltsamerweise waren in diesem Stadium alle Zweifel in ihm verschwunden, ob der Pakt nun Realität war oder ob er jenem Traum angehörte, den er mit dem Tod hinter sich gelassen hatte.
Der Pakt war gültig - er spürte es!
Und er spürte auch den sanften Sog, der seine Seele erfaßte und sie fortlenkte vom Ort seines Sterbens…
Das ist nicht das Jenseits, dachte Balsamo hellsichtig. Nur ein Zwischenreich, ein Übergang. Etwas passiert mit mir. Mein Leib ist tot, aber meine Seele existiert weiter.
Ganz wie der Dunkle es mir vorausgesagt hat.
Und seine Seele fror, als er sich ausmalte, wie es nun weitergehen sollte…
***
Die schwere Schranktür öffnete sich leise knarrend einen Spaltbreit.
Johannes spähte zögernd aus der Öffnung und blickte ängstlich über das Meer der Scherben, die den Kellerboden bedeckten.
Als er am gegenüberliegenden Treppenaufgang die wankende Gestalt seines Meisters entdeckte, zuckte er kurz zurück. Zu groß war die Angst vor neuen Schlägen und Beschimpfungen. Doch dann riß er sich zusammen und stieß die Schranktür weit auf.
Kellermann stand wie versteinert vor der Treppe, nur wenige Meter entfernt, und schien ihn nicht zu bemerken.
Er schien nichts wahrzunehmen, was im Kellerlabor geschah!
Johannes fühlte, wie sich seine Nackenhaare langsam steil aufrichteten, während er ungelenk aus dem Schrankkasten kletterte.
Was war mit dem Meister los?
Er erfuhr es nie. Zumindest nicht die tieferen Zusammenhänge, die er ohnehin nicht verstanden hätte.
Medicus Jakob Kellermann starb vor den Augen des gutmütigen Trottels - während sein Herz weiterschlug, seine Lungen atmeten und sein Gehirn in Flammen stand!
»Nein…« rann es gequält über seine Lippen, so daß Johannes mitten in der Vorwärtsbewegung verharrte.
»Nein! Was… o Gott, mein Schädel… mein… Allmächtiger!«
Johannes duckte sich unwillkürlich unter dem Wortschwall Kellermanns, der immer noch an der Treppe stand, einen Fuß auf der untersten Stufe, und dabei wankte wie ein Schilfrohr im Sturm… Wankte, aber nicht fiel!
War es der
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