0309 - Der Horror-Alchimist
diesen seltsamen Effekt ins Gegenteil um: Plötzlich schien der Mann mit dem Puppengesicht von einer düsterglühenden Aura umwoben zu werden, die die gleiche Farbe und Intensität hatte wie seine toten Augen!
Zum erstenmal spürte Balsamo mit jedem Nerv seines altersschwachen Körpers das Unirdische, Unheilige, das von dem Fremden ausging… Diese Aura war kein Heiligenschein, eher, der Abglanz der Hölle, aus der es diesen Teufel ins Reich der Lebenden oder Noch-Lebenden getrieben hatte!
Balsamo faßte sich nur mühsam.
»Ihr treibt eure Späße mit mir… Oder war es euer Ernst, was Ihr mir darbotet…?«
»Mein voller Ernst!«
Wieder blieben die Lippen des Fremden unbeweglich. Wieder schien es Giuseppe de Balsamo, als würden die Worte des Unheimlichen wie glühende Dolchstöße direkt in sein Gehirn niederfahren!
Stand ihm der Satan persönlich gegenüber?
»Nicht ganz«, antwortete die Gestalt im dunklen Umhang, als bereite es ihr keine Mühe, in seinen Gedanken wie in einem aufgeschlagenen Buch zu lesen. »Nicht ganz…«
»Aber…« keuchte Balsamo.
»Kein Aber. Ihr wollt sicher erfahren, wie unser Pakt aussehen soll«, fiel ihm der Dunkle ins Wort. »Nun, so hört…«
Balsamos Augen weiteten sich, sein krankes Gesicht verzerrte sich zu einer unansehnlichen Form, während er minutenlang den Ausführungen der Höllengestalt wie gebannt lauschte und jedes Wort wie ein ausgetrockneter Schwamm in sich aufsog.
Als das Puppengesicht seine Erklärungen beendete, lag der Alchimist wie tot, betäubt, in den Kissen und wußte nicht, wie er reagieren sollte. Zu wahnwitzig klang das, was der Fremde ihm mitgeteilt hatte. Plötzlich rückten all die überlieferten Teufelslegenden aus Jahrhunderten in ein ganz anderes Licht, schienen glaubhaft! - Oder gaukelte ihm der nahe Tod all das, was er gerade erlebte, nur vor? Träumte er nur einen letzten, boshaften Traum…?
»Kein Traum!« wischte der Unheimliche die Zweifel hinweg, die an Balsamos Seele nagten. »Entscheidet Euch!«
Vielleicht verschwindet die grauenhafte Gestalt endlich, wenn ich es tue… Vielleicht…
Giuseppe de Balsamo wußte längst nicht mehr, was er tat, als er sein Ja-Wort unter den höllischen Pakt setzte.
»Einverstanden«, krächzte er kraftlos und schloß resignierend die Augen.
Als er sie Sekunden später wieder öffnete, war der Mann mit dem Puppengesicht verschwunden…
Als hätte es ihn nie gegeben!
***
Giuseppe de Balsamo brauchte Minuten, um sich soweit zu erholen, daß er seinen Körper langsam im Bett aufrichten konnte.
Ich sehe Gespenster, dachte er erschüttert. Allmächtiger… das Ende ist nahe!
Er zitterte so stark, als hätte er Schüttelfrost. »Hilfe!« krächzte er mit flüsternder Stimme. »So helft mir doch… !«
Wo war dieser Quacksalber Francesco? Warum war er nicht bei ihm in seiner schwersten Stunde und gab ihm irgend ein Mittel, das wenigstens die grauenhaften Schmerzen etwas betäubte?
Balsamos Blick glitt zur Tür, die verschlossen war, und von dort hinüber zur Spiegelkommode.
Im nächsten Moment hielt er verblüfft inne.
Fassungslos starrte er zu den Spiegeln, deren Oberflächen jeglichen Glanz verloren und blind wie verrußtes Glas geworden waren!
Wieso? Was war passiert?
Es sah aus, als wäre jemand mit einer blakenden Fackel über das Spiegelglas gestrichen…
Aber wer hätte etwas gegen Spiegel haben sollen?
Obwohl die Entdeckung an sich nicht sehr bedeutungsvoll schien, konnte sich Balsamo kaum beruhigen.
Um sich abzulenken, drehte er den Kopf so weit er konnte und versuchte herauszufinden, ob sich noch etwas im Zimmer verändert hatte.
Er mußte warten, bis die Wand hinter seinem Bett in sein Blickfeld geriet.
Die neue Entdeckung traf ihn wie ein Hammerschlag.
Die Stelle über dem Bett, wo das geweihte Kruzifix über ihn gewacht hatte, war… leer!
Das Kreuz mit der Christi-Gestalt war verschwunden! Nur ein rußiger, schwarzer Fleck, der die Fläche wie ein auseinandergelaufener Tintenklecks bedeckte und die ehemaligen Umrisse des Schutzheiligen aussparte, erinnerte daran, daß hier einmal etwas gewesen war.
Giuseppe de Balsamo krümmte sich unter dem Laken zusammen.
Da war die grenzenlose Angst wieder - die furchtbare Vorstellung, daß er das Erscheinen des Unheimlichen und den Pakt gar nicht geträumt hatte, sondern daß alles wirklich passiert war…
Diese neuerliche Aufregung war zuviel für sein schwaches Herz. Es hörte einfach auf zu schlagen.
***
Der Abend dämmerte,
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