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031 - Der Puppenmacher

031 - Der Puppenmacher

Titel: 031 - Der Puppenmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Vlcek
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Ziersträucher waren verwildert. Die Villa selbst befand sich in einem ähnlichen Zustand. Obwohl in der Dunkelheit keine Einzelheiten zu erkennen waren und das Licht aus den Fenstern des Erdgeschosses ihn blendete, entging ihm nicht, daß an vielen Stellen der Verputz abblätterte. Einst mochte die Villa ein imposanter Bau gewesen sein. Sie stammte aus der Jahrhundertwende und wies typische Merkmale des Jugendstils auf – eine Stilrichtung, die in England weniger gepflegt worden war als zum Beispiel in vielen Ländern auf dem Kontinent; jetzt war aber nicht mehr viel vom Einfluß des Jugendstils zu sehen. Zwar wies die Vorderfront noch die Schlangenlinie auf, und die Fenster zierten Verschnörkelungen mit Medusenhäuptern und anderen Masken, aber da der Großteil abgebröckelt war, benötigte man einige Phantasie, um die einstige Pracht dieses Bauwerkes zu erahnen.
    Ungefähr eine Minute nachdem Chapman geläutet hatte, wurde die Tür von einem noch ziemlich jungen Mann geöffnet. Er mochte so alt wie Dorian sein – ungefähr dreißig Jahre – und er war schlank, wirkte gepflegt und trug einen dunklen Abendanzug mit Fliege. In seinen Lackschuhen, die unter der Hose mit den hohen Stulpen hervorsahen, spiegelte sich das Licht eines Kristallüsters.
    Als er die beiden Männer sah, legte er seine glatte Stirn in Falten, so daß seine schwarzen Haarlocken leicht aufgehoben wurden.
    »Wie sind Sie denn hereingekommen?« herrschte er die beiden an.
    Chapman blieb ungerührt.
    »Die Gartenpforte war offen. Anscheinend hat Lady Hayward vergessen, sie abzuschließen, als sie das Anwesen verließ«, sagte er und beobachtete sein Gegenüber dabei scharf. »Im übrigen sind wir bei Lord Hayward angemeldet. Mein Name ist Donald Chapman – von Lloyds. Und das ist.« »Dorian Holborn«, sagte Dorian, einer plötzlichen Eingebung folgend.
    Er fand, daß es nichts schaden konnte, wenn er nicht seinen richtigen Namen nannte.
    »Ich wußte gar nicht, daß Lord Hayward heute Besuch erwartet«, meinte der junge Mann und gab den Weg ins Haus widerstrebend frei.
    »Es ist auch nicht anzunehmen, daß Lord Hayward seine Bediensteten in seine Privatangelegenheiten einweiht«, entgegnete Chapman und trat ein.
    Der junge Mann machte ein Gesicht, als hätte man ihn geschlagen, und sagte dann würdevoll: »Ich bin Gast in diesen Haus. Wenn ich Ihnen geöffnet habe, dann nur, weil die Diener im Augenblick nicht verfügbar sind.«
    Mit diesen Worten wandte er sich ab und überließ es Dorian, die Tür zu schließen.
    »Wer ist da, Henry?« fragte eine schrille Frauenstimme aus einem Raum links.
    Der junge Mann, der offenbar mit Vornamen Henry hieß, warf ihnen einen abfälligen Blick zu und antwortete: »Niemand, Mutter. Nur zwei Hausierer. Angeblich sind sie mit Lord Hayward verabredet.«
    »Tatsächlich?« sagte die Frauenstimme. »Nun, wenn sie es sagen, wird es schon stimmen. Scotty verkehrt ja mit den seltsamsten Leuten. Hi, hi! Führe die beiden doch in den Salon, bis er kommt. Ich möchte sie sehen.«
    Henry machte ein säuerliches Gesicht und bedeutete Dorian und Chapman mit einer Handbewegung, in den Raum zu kommen, in dem sich seine Mutter aufhielt.
    Als sie in den Salon traten, blickte ihnen eine ältere Dame aus einem mit Brokat bezogenen Ohrensessel entgegen. Ihr Gesicht war von einer dicken Puderschicht bedeckt, so daß die Falten, die sie vertuschen wollte, noch besser zur Geltung kamen. Ihre gekräuselten Haare waren grellrot gefärbt, die wulstigen, spröden Lippen grellrot geschminkt. Ihr tiefes Dekollete zeigte nebst einem schwergoldenen und mit Edelsteinen besetzten Halsband viel verwelkte Haut. Sie nähte gerade an einem Puppenkostüm. Jetzt legte sie ihre Arbeit in den Schoß und blickte den beiden Neuankömmlingen entgegen.
    Zuerst gab sie nur ein überraschtes »Oh« von sich, dann lächelte sie einnehmend und sagte: »Henry ist ein unausstehlicher Lausebengel. Er muß immer übertreiben. Als er von Hausierern sprach, da habe ich natürlich an verwahrloste, heruntergekommene Gestalten gedacht. Sicherlich sind Sie gar keine Vertreter, die Scotty – ich meine Lord Hayward irgendwelchen Nonsens verkaufen wollen.« »Wie Sie schon sagten, Mylady, Henry hat übertrieben«, antwortete Chapman. »Wir sind Angestellte der Lloyds-Versicherungen und durchaus ehrenwert!«
    »Daß Sie ehrenwert sind, das sehe ich Ihnen an. Ich habe einen Blick für Menschen«, sagte die alte Dame und streckte Chapman ihre abgemagerte Hand zum Kuß

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