031 - Die blaue Hand
ist deine Sache, dafür zu sorgen, daß sie Arbeit bekommt. Eines mußt du dir merken: Sie darf nie den Eindruck bekommen, aus einem ändern Grund engagiert worden zu sein, als um deine Briefe zu schreiben und deine Korrespondenz zu ordnen.«
Die Frau, die ihm auf dem Sofa gegenübersaß, sah älter aus, als sie in Wirklichkeit war. Jane Groat war über sechzig, doch viele hielten sie für zwanzig Jahre älter. Sie ging gebeugt, Runzeln und Falten durchzogen ihr gelbliches Gesicht, auf ihren blassen Händen traten blaue Adern hervor. Nur ihre dunkelbraunen Augen machten noch einen lebendigen Eindruck; sie bewegten sich unaufhörlich, und abwechselnd lag in ihrem Blick Neugier und Furcht. Ihr Benehmen dem Sohn gegenüber hatte fast etwas Kriecherisches. Sie sah ihm nicht in die Augen, überhaupt sah sie selten jemand an.
»Sie wird hier herumspionieren, sie wird stehlen!« jammerte sie weinerlich.
»Nun aber Schluß mit dem Mädchen!« fuhr er sie böse an. »Und da wir gerade allein sind, muß ich dir noch etwas anderes sagen.«
Eine Drohung lag in seinen Worten. Ihre unsteten Blicke irrten nach rechts und links, aber sie vermied es ängstlich, seinen Augen zu begegnen.
»Sieh einmal hierher!«
Er hatte einen Gegenstand aus der Tasche gezogen, der im Licht der Tischlampe blitzte und glänzte.
»Was ist es denn?« fragte sie kläglich, ohne aufzuschauen.
»Ein Diamantenarmband!« rief er wütend. »Es gehört Lady Waltham. Wir waren am Wochenende auf ihrem Gut. Sieh her!«
Sie senkte den Kopf und begann zu weinen.
»Ich habe es in deinem Zimmer gefunden, du alte Diebin!« zischte er sie an. »Kannst du dir diese entsetzliche Sache nicht abgewöhnen?«
»Es sah so schön aus«, schluchzte sie, die Tränen rannen ihr über die hageren Wangen. »Ich kann der Versuchung nicht widerstehen, wenn ich schöne Dinge sehe.«
»Du weißt doch, daß das Dienstmädchen von Lady Waltham verhaftet wurde, weil sie verdächtigt wird, das Armband gestohlen zu haben. Wenn nichts geschieht, wird sie zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt.«
»Ich konnte der Versuchung einfach nicht widerstehen«, wiederholte sie mit tränenerstickter Stimme.
Er warf das Armband mit einem Fluch auf den Tisch.
»Jetzt kann ich es der Dame wieder zurückschicken und muß ihr in einem Brief vorlügen, daß es aus Versehen in deinen Koffer gekommen ist! Ich tue es nicht, um dem Dienstmädchen zu helfen, sondern meines guten Rufes wegen.«
»Jetzt weiß ich, warum du das Mädchen ins Haus nehmen willst - sie soll mich ausspionieren!«
Er verzog verächtlich die Lippen und erhob sich.
»Da hätte sie eine schwierige Aufgabe!« meinte er ironisch und lachte heiser. Hart und drohend fuhr er fort: »Diese läppische Stehlerei muß aufhören. Ich will bei den nächsten Wahlen ins Parlament kommen und kann meine gesellschaftliche Stellung nicht durch eine alte, verrückte Diebin erschüttern lassen. Wenn in deinem Kopf etwas nicht stimmt - du weißt, ich habe ein Laboratorium, da können wir den Schaden reparieren.«
Sie zuckte erschrocken zusammen. Furcht und Entsetzen verzerrten ihr Gesicht.
»Du! Du wirst es doch nicht tun - mein eigener Sohn!« stammelte sie. »Ich bin vollkommen gesund, es ist nur...«
»Vielleicht kommt es doch daher, daß du irgendeinen Druck im Gehirn hast«, erwiderte er kalt. »Dergleichen muß durch Operation entfernt werden ...«
Sie hatte ihren Stuhl zurückgeschoben und das Zimmer fluchtartig verlassen, noch während er sprach. Er nahm das Armband und steckte es wieder in die Tasche. Ihre krankhafte Neigung kannte er nun schon lange. Er hatte alles versucht, sie davon abzubringen, und auch geglaubt, daß es ihm gelungen wäre. Um so mehr erbitterte ihn dieser Rückfall. Er ging in die Bibliothek, in der kostbare Bücherschränke aus Rosenholz standen, und die auch sonst mit größtem Luxus ausgestattet war. Er setzte sich an ein Tischchen und schrieb den Brief an Lady Waltham. Brief und Armband packte er in ein Kästchen und klingelte. Ein Mann in mittleren Jahren mit dunklem, abstoßendem Gesicht kam herein.
»Jackson, bringen Sie das sofort zu Lady Waltham! Und dann -meine Mutter geht heute abend in ein Konzert. Wenn sie fort ist, durchsuchen Sie ihre Zimmer genau!«
»Dies habe ich schon getan, Mr. Groat, aber ich konnte nichts finden.«
Er wollte gehen. Digby rief ihn zurück.
»Haben Sie der Haushälterin gesagt, daß sie sich um das Zimmer für Miss Weldon kümmert?«
»Jawohl, Sir. Sie wollte ihr erst
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