031 - Die blaue Hand
französisches Bett mit Schnitzereien und Vergoldung, darüber ein großer Baldachin aus prächtiger Seide, ein Toilettentisch Louis XV. mit eingelegter Goldplatte. Der dazugehörige Kleiderschrank mußte allein ein Vermögen gekostet haben. In der Nähe des Fensters stand ein hübscher Schreibtisch, und einen prachtvollen Bücherschrank mit Ganzlederbänden konnte man vom Bett aus erreichen. Den geräumigen Balkon schmückten farbenprächtige Blumen. Eunice stand auf einem dicken, dunkelblauen Teppich, der den ganzen Raum ausfüllte. Staunend sah sie auf die ganze Pracht.
»Es muß ein Mißverständnis sein, es ist völlig unmöglich, daß ich hier wohnen soll«, wiederholte sie.
»Doch, Miss. Sehen Sie, hier ist Ihr Badezimmer. Wir haben zu jedem Schlafzimmer ein eigenes Bad. Mr. Groat hat das ganze Haus umgebaut, als er es kaufte.«
Eunice öffnete die Balkontür und trat hinaus. Der Balkon zog sich bis zu einer viereckigen Veranda hin, die sich über der Eingangshalle des Hauses befand.
Eunice sah Mrs. Groat an diesem Tage nicht mehr. Als sie nach ihr fragte, erfuhr sie, die alte Dame habe sich mit Kopfschmerzen zurückgezogen. Audi Digby Groat begegnete sie nicht, sie aß ihre erste Mahlzeit ganz allein.
»Mr. Groat ist noch nicht vom Lande zurückgekehrt«, teilte ihr Jackson mit, der sie bei Tisch bediente. »Ist alles nach Ihrem Wunsch, Miss?«
»Ja, ich danke.«
Sie fand diesen Mann wenig sympathisch. Nicht, daß er es an Respekt hätte fehlen lassen oder plump vertraulich gewesen wäre - trotzdem lag etwas Anmaßendes in seinem Benehmen. Sie war froh, als sie ihre Mahlzeit beendet hatte. Enttäuscht ging sie in ihr Zimmer. Sie hätte gerne Mrs. Groat noch einiges gefragt, vor allem, wann sie ausgehen konnte.
Sie schaltete das Licht aus, öffnete die große Balkontür und trat in den kühlen Abend hinaus. Das letzte Abendrot färbte die Wolkenränder. Der Platz vor dem Haus war schon erleuchtet, ein endloser Strom von Autos fuhr vorbei, denn Grosvenor Square war die Hauptverbindung zwischen Oxford Street und Piccadilly.
Allmählich brach die Nacht an, Sterne tauchten am Himmel auf, in den die Dächer und Türme der Stadt in magischer Beleuchtung ragten. Eunice war bezaubert von der Schönheit der Nacht, und sie dachte daran, daß in dieser großen, nächtlichen Stadt ein Mann lebte, der jetzt vielleicht an sie dachte. Deutlich sah sie ihn vor sich.
Mit einem Seufzer schloß sie die Balkontür und zog die schweren Vorhänge zu. Fünf Minuten später lag sie in tiefem Schlaf.
Wie lange sie geschlafen hatte, wußte sie nicht, aber es mußten Stunden gewesen sein. Der lebhafte Verkehr auf der Straße und die Geräusche der Großstadt waren verstummt, nur ab und zu hörte sie eine Hupe. Obwohl es völlig dunkel war, hatte sie das sichere Gefühl, daß sich jemand im Zimmer befand.
Sie setzte sich aufrecht. Jemand war im Zimmer! Sie schauderte. Vorsichtig tastete sie nach der Stehlampe und hätte beinahe einen Schreckensschrei ausgestoßen - auf dem Nachttisch lag eine kalte, kleine Hand, die bei der Berührung rasch zurückgezogen wurde. Eunice war gelähmt vor Entsetzen. Dann hörte sie das Rauschen des Vorhangs und sah eine Sekunde lang den Schatten einer Gestalt am Fenster. Sie zitterte am ganzen Körper, doch riß sie sich zusammen, sprang aus dem Bett und drehte das Licht an. Das Zimmer war leer, die Balkontür angelehnt.
Auf dem kleinen Tischchen beim Bett fand sie eine graue Karte. Zitternd nahm sie sie in die Hand und las: Jemand, der Sie liebt, bittet Sie um Ihrer Sicherheit und Ihres Rufes willen dringend, dieses Haus so bald als möglich zu verlassen.
Statt der Unterschrift - eine kleine, blaue Hand!
Sie ließ die Karte auf die Bettdecke fallen und starrte darauf. Nach einer Weile nahm sie ihren Morgenrock, schloß die Tür auf und trat in den Gang hinaus. Bei der Treppe brannte ein schwaches Licht. Das Haus lag in völliger Stille. Noch außer sich vor Angst und Schrecken, rannte Eunice die Treppe hinunter. Sie mußte jemanden finden, ein wirkliches Wesen, das kein Spuk war. In der Halle brannte die große Lampe und beleuchtete eine altmodische Uhr. Daß es eine Uhr war, kam Eunice erst zum Bewußtsein, als sie das feierliche Ticken hörte. Drei Uhr - aber vielleicht war doch noch jemand im Hause wach. Sie eilte einen Gang entlang bis zu einer Tür, die sie für den Zugang zu den Dienstbotenräumen hielt. Sie öffnete und kam in einen verlassenen Korridor, der nur schwach beleuchtet war
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