0316 - Krakenfluch
baumdicken Holzpfahl, den man in der Mitte des Dorfplatzes eingerammt hatte. Grobe Schnitzarbeiten waren darauf zu erkennen, und an einigen Stellen waren noch die Reste ehemaliger Farben zu erkennen.
Sabine Janner sah, daß es gräuliche Dämonenlarven waren, die man in das Holz des Pfahles geritzt hatte. An diesem Pfahl sollte sich ihr Schicksal erfüllen.
Oben war ein eiserner Krampen angebracht. Sabine wurden die Arme jetzt anders gefesselt. Die Bastschnur, die von ihrer Handfessel ausging, wurde an dem Krampen angebracht, den sie nicht erreichen konnte. Ihr schlanker Körper stand hochaufgerichtet und hatte sogar eine gewisse Bewegungsfreiheit, weil nur die Hände nach oben gebunden, nicht aber der restliche Körper gefesselt war.
»Es ist für den Tanz, den die Große Schlange dich tanzen läßt, weißhäutiges Mädchen!« sagte der Häuptling. »Bevor sie das Opfer annimmt, wird sie deinen Körper in Angstzuckungen sehen. So wurden in den alten Tagen Dengei die Opfer dargebracht. Und so werden wir es heute wieder halten!«
Im selben Moment wurde am Strand ein Muschelhorn geblasen.
Wenig später kam ein Mann in raschem Lauf und plapperte einige Worte, die Sabine nicht verstehen konnte. Doch sie hörte die Freudenrufe der Menge und ahnte, was kommen mußte.
Der Krake war wieder aufgetaucht.
»Weicht zurück, o ihr Gläubigen!« rief der Häuptling pathetisch in den Lärm. »Macht Platz für Dengei, die ihr Opfer zu holen kommt!«
Wieder dröhnten die Trommeln.
»Bum – Bum – Bum!« – »Dengei!« – »Bum – Bum – Bum!« – »Dengei!«
Dann sah Sabine Janner, wie sich aus der Dünung der Wellen langsam der gewaltige Schädel des Kraken hervorhob…
***
Das Wummern der Trommeln riß Michael Ullich aus einem Schlaf, der eine Nacht und einen Tag gedauert hatte. Der total ermattete Körper hatte die Erholung genommen, die er benötigte.
»Bei Croms Bart!« stieß er hervor. »Die Eingeborenen haben eine Disco! Und den Schlagzeugern fällt nicht viel ein. Dem Krach nach zu urteilen ist es Heavy-Metal-Rock. Der Primitivität nach müßte es Punk sein. Da wir aber unter Wilden sind, kann’s auch Reggae sein. Na, die Show werde ich mir mal ansehen!«
Er gürtete sich das Schwert wieder um und glitt von der Palme herab.
»Ade, mein liebes Schlafgemach!« sagte er. »Mal sehen, wo hier die Küche ist. Denn langsam bekomme ich Hunger. Ich hätte mir was von dem Kraken gestern abschneiden sollen. Na, vielleicht trifft man sich ja mal wieder!«
Dieser Wunsch sollte nur zu schnell in Erfüllung gehen. Doch das ahnte Michael Ullich noch nicht.
***
»Die Trommeln! Da bahnt sich etwas an!« rief Professor Zamorra.
»Dengei! Dengei!« vernahm er die Rufe der Insulaner. Durch die Gedankenbotschaft des Naduri wußte Professor Zamorra über die alte Sage genau Bescheid.
Die Trommeln riefen den Götzen heran. Und die Stimmen der Menschen verlangten nach ihm.
»Dieser Dämon hat leichtes Spiel!« stieß Zamorra hervor, während er mit Nicole weiterrannte. »Die Eingeborenen sind wieder bereit zur Verehrung ihrer Legendengötter. Sie werden den Kraken anbeten und…!«
Er brach ab. Denn der monotone Gesang der Menge wurde durch den schrillen Angstschrei eines Mädchens zerrissen.
»… und ihm opfern!« setzte Nicole hinzu. »Dann hat der Dämon, was er will. Denn die Verehrung eines Götzen wiegt schwer. Doch ihm Opfer darzubringen ist eine Sünde, die niemals vergeben wird. Noch dazu, wenn es ein Menschenopfer ist. Und wenn das Opfer … Sabine Janner heißt!«
»Dengei! Dengei!« hallte der Ruf der Menschen wieder auf. Und dann sah Professor Zamorra durch die Bäume, die sich langsam lichteten, die Schattenrisse des Dorfes vor sich liegen. Die Nacht war noch im Anfangsstadium und man konnte alles gut mit dem bloßen Auge erkennen.
Auch die wie zwei aufbäumende Schlangen wirkenden Tentakel, die sich über die Dächer der primitiven Hütten ringelten.
Der Krake war im Dorf…
***
Sabine Janner sah, wie der mächtige Krake sich langsam durch den Sand auf das Dorf zuschob. Die Menschen wichen bis zu den Wänden ihrer Hütten zurück, um nicht in die Nähe des Opfers zu geraten und sein Schicksal zu teilen.
Sabine Janner wand sich und versuchte, die Fesseln abzustreifen.
Doch es war vergeblich. Wehrlos mußte sie mit ansehen, wie der Krake sich in provozierender Langsamkeit durch das Dorf auf den Platz zuschob.
Über ihren fast nackten Körper floß ein Frostschauer, wenn sie an das Schicksal
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