0317 - Das Todeslied der Unterwelt
fragend an.
»Um wieviel Uhr erschienen Andrew und Eavens im Office des Distriktstaatsanwaltes? Um Wieviel Uhr war das, Norman?« fragte ich eindringlich.
»Gegen neun oder halb zehn. Andrew entschuldigte sich damit, daß er so lange hätte arbeiten müssen.«
»In diesem Falle können Stuck Eavens und Georgeton doch nicht identisch sein«, sagte ich. »Ein Mann kann ja nicht gleichzeitig im Office des Staatsanwaltes und in seiner Wohnung sitzen. Georgeton aber war zu der Zeit zu Hause. Das wissen wir genau, denn wir waren bei ihm.«
»Ach, du lieber Himmel, ja!« rief Norman. »Aber wer ist denn dann dieser Stuck Eavens? Ein Gespenst? Eine Erfindung von Killern? Oder was sonst?«
Ich stand auf und ging zu dem offenen Fenster. Die Spitzen der Wolkenkratzer waren in ein goldenes Licht getaucht. Irgendwo im Osten ging jetzt die Sonne auf. Ging sie vielleicht auch schon für einen unter?
Ich drehte mich um.
»Georgeton war gar nicht der Boß«, sagte ich überzeugt. »Auch er kann nur ein vorgeschobener Strohmann gewesen sein. Wenn er wirklich der Boß gewesen wäre, hätte er sich zurückziehen können. Aber gerade, weil er fünf Minuten vor seiner geplanten und auch schon vorbereiteten Flucht ermordet wird, kann er nicht der Boß gewesen sein. Sein Mörder - das ist der Boß! Und damit stehen wir wieder am Anfang. Solange der Kopf der Organisation frei herumläuft, ist die Organisation nicht tot. Er wird neue Kreaturen finden, die bereit sind, zu terrorisieren und zu morden. Wir haben eine Menge Leute hinter Gitter gebracht. Sie sind zusammen nicht so viel wert wie dieser einzelne allein.«
Norman stemmte sich in die Höhe. Er sah blaß aus, übernächtigt, abgespannt wie wir alle. Es gab keinen, der nicht rotgeränderte, schon leicht entzündete Augen gehabt hätte. Und trotzdem sagte Norman:
»Du hast recht, Jerry. Solange der Kerl frei herumläuft, solange war alles vergeblich, was wir taten. Ich werde mir Albert Stein noch einmal vornehmen. Er ist der einzige, von dem ich noch etwas erhoffe. Hier, das hat er für mich aufgeschrieben, während ich mit dem Staatsanwalt unterwegs war. Er gibt sich alle Mühe, seit er sich überhaupt dazu entschlossen hat, auszusagen.«
Er schob mir ein Blatt Papier hin. Eine große, dicke Hornbrille war darauf gezeichnet. Darunter stand in einer fast kindlichen Handschrift:
Stuck Eavens.
Braunes Haar, habe ich nur bei Pferden gesehen, so braun.
Schmalei Bart unter der dicken Nase. Kurzer Spitzbart am Kinn.
Dicke Hornbrille, dunkel, vielleicht schwarz.
Vorspringende Zähne.
Kleine, eng beieinanderstehende Augen.
Erinnert mich an jemand, aber ich komm und komm nicht drauf.
Geht mich vielleicht nichts an, aber ich möcht es doch gern wissen. Woher haben die beiden G-men gewußt, wo ich mich versteckt hielt? Mein Versteck hat niemand weiter gekannt als Stuck Eavens.
Wieso wußten es die beiden G-men, die mich kassiert haben?
Ich schloß die Augen. Ich atmete dreimal tief durch. Dann las ich alles noch einmal. Phil rief gespannt:
»Hast du etwas entdeckt, Jerry?«
Ich hatte richtig gelesen. Mir fiel es wie Schuppen von den Augen. Ein einzelner Mensch hatte Steins Versteck gekannt? Aber uns hatte ein Mann dieses Versteck beschrieben.
Ein Kellner in einer Kneipe, die weiter hinten einen geheimen Zugang zu dem Nachtklub be'saß, wo Georgeton Mädchen anbot wie andere Leute frische Eier.
Der Kellner hatte eine Knollennase, vorstehende Zähne und eng beieinanderstehende Augen.
Ich ging zur Garderobe neben der Tür, setzte den Hut auf und sagte:
»Wo willst du denn hin?« rief Phil.
»Den Mann abholen, der Georgeton an der Flucht gehindert hat, indem er ihn umbrachte. Den Boß. Das Haupt der Organisation!«
Norman und Phil jagten mir nach. Ich drückte Phil wortlos das Blatt mit den Aufzeichnungen von Albert Stein in die Hand.
Als er die Notizen gelesen hatte, verstand er sofort. Er erklärte Norman den Zusammenhang.
Die Kneipe hatte eine Reklame, die über zwei Stockwerke reichte. Sie brannte noch, als wir hinkamen, obgleich es längst heller Morgen war. Die Kneipe hatte Nachtkonzession. Wir gingen hinein.
Der Kellner stand an der Theke und spülte ein paar Gläser. Er gähnte wie ein Mensch, der rechtschaffen müde ist. Als wir plötzlich neben ihm standen, erschrak er zutiefst. Er wollte unter seine weiße Kellnerjacke fassen.
Phil hielt ihm den linken Arm fest, Norman den rechten.
Ich zog ihm den kleinen Colt aus dem Hosenbund. Ein paar Minuten danach waren
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