0318 - Im Reich der Monster-Spinnen
Weg. Er konnte über das Spinnennetz gehen, das für einen normalen Menschen eine tödliche Falle war. Es war nicht einmal zu erkennen, ob er das Netz überhaupt berührte.
Der Nebel begleitete ihn, und mir kam es so vor, als würde er über die einzelnen Fäden hinwegschweben.
Ich hatte die Hände geballt und zitterte innerlich. Eine Entscheidung stand dicht bevor, das wußte ich genau, und sie würde in den nächsten Minuten fallen.
Näher und näher kam Okastra.
Mittlerweile konnte ich auch seine Gestalt besser sehen. Der schmale Lichtfinger stach in die Nebelwolke und sah so aus, als wäre er an seinem Ende, regelrecht verdampft.
Okastra blieb stehen.
Nicht ein Wort drang über seine Lippen. Er glich in diesen Augenblicken einem Denkmal.
Ich sah ebenfalls keinen Grund, die Initiative zu ergreifen, nur Sarrazan neben mir schien auf einem Nerventrip zu sein, denn er atmete hastig und stoßweise.
»Da kommen wir nicht mehr weg. Nein, verdammt, es wird uns wie Paco ergehen.«
Auch in mir stieg die Spannung, und sie erreichte allmählich einen Siedepunkt.
Wie würde es weitergehen?
Okastra wollte etwas von mir, also mußte er die Initiative ergreifen und nicht ich.
Das tat er auch.
»Ihr seid in mein Reich eingedrungen«, erklärte er, »obwohl ich euch nicht darum gebeten habe…«
Ich vernahm die Worte, doch ich verbannte sie aus meinem Kopf.
Diese Stimme, mein Gott, wie hörte sie sich nur an. So seltsam hallend, so hohl, wie aus einem Grab kommend. Gleichzeitig weit entfernt und doch so nah. Die Stimme eines lebenden Toten.
»Es war Schicksal«, erwiderte ich. »Ich wäre freiwillig nicht…«
»Das spielt keine Rolle mehr. Du bist ein Gegner, und ich verfahre mit Gegnern so, wie ich es schon immer getan habe. Als Sarazene habe ich die Pflicht, dich zu vernichten. Anders kann meine Ehre nicht gerettet werden.«
Es war immer das gleiche Spiel. Er drohte mir, er stand vor mir, er nahm sich und mich als Tatsache hin, ich aber wollte wissen, wieso dies geschehen konnte und welche Motive ihn leiteten. Daß es schwarzmagische waren, daran gab es keinen Zweifel, aber es mußte noch andere Dinge geben.
Und die wollte ich wissen.
»Wie kommt es, daß du lebst?« fragte ich.
»Hat man dir das nicht berichtet?« erklang die Gegenfrage aus der Wolke.
»Nein.«
»Die Menschen glauben nicht mehr an mich, wie?«
»Zum Teil. Sie halten dich für eine Legende. Für einen Spuk, mehr nicht.«
»Das bin ich eigentlich auch. Ein Spuk, aber ein Spuk, der lebt, der fühlen und begreifen kann, und der Bescheid weiß. Mir ist bekannt, welch ein Gegner vor mir steht, und ich fasse es sogar als Ehre auf, den Geisterjäger John Sinclair zu erledigen. Die Mächte der Finsternis schlafen nicht. Sind sie auch oft verfeindet oder zerstritten, in der Vernichtung ihrer Gegner sind sie sich einig, und sie informieren sich untereinander, wer ihre Feinde sind.«
Das konnte ich mir vorstellen. Auf irgendeine Art und Weise gehörten alle Schwarzblütler zusammen, waren sie auch noch so verschieden.
Ich war Okastra also bekannt, aber ich kannte ihn nicht und wußte nichts von seinen und auch nichts aus der fernen Vergangenheit.
Danach wollte ich ihn fragen.
»Wie kommt es, daß du nicht vermodert bist?«
»Weil die Menschen nicht glauben wollten und ich einen großen Beschützer habe.«
»Den Teufel?«
»So ähnlich. Aber es gibt einen Dämon, den ihr Menschen schon zu biblischen Zeiten verflucht habt. Das ist Baal. Es ist mein Helfer. Seine Magie hält mich am Leben, denn ihm habe ich gedient, als wir Sarazenen in dieses Land einfielen. Ich wußte, was ich zu tun hatte, um Baal ein rechter Diener zu sein. Die Menschen des Altertums haben um das goldene Kalb getanzt und dem Götzen Baal Menschenopfer gebracht. Das hatte ich nicht vergessen, und ich brachte Baal die Opfer, denn es waren meine Feinde. Sie haben sich vor mir versteckt, nur nicht gut genug. Ich fand und tötete sie der Reihe nach, wobei ihr Blut das Innere des Berges tränkte und von den zahlreichen Spinnen aufgesaugt wurde, die hier lebten. Durch mein Schwert war ihr Blut magisch verseucht. Die Menschen starben, aber sie wurden wiedergeboren. Als weiße Monsterspinnen, die von nun an mir gehorchten. Und so überlebte ich die langen Zeiten im Schutze der Spinnen. Die Menschen hatten gedacht, sie könnten mich töten. Sie haben sogar einen Friedhof über dem Berg errichtet und eine Figur auf ihm demjenigen geweiht, der sich mir damals entgegenstellte. Es war
Weitere Kostenlose Bücher