0327 - Sie kamen drei Stunden nach Mitternacht
nur wiederholt am Telefon und einmal, als er Eva abholte. Er ist ein vornehmer und höflicher Herr.«
***
»Hältst du es nicht für möglich«, fragte ich meinen Freund, als er geendet hatte, »dass Eva Edsons Verlobter mit dem Gangster identisch ist und dass sie es war, die ihm unabsichtlich die Tipps gegeben hat, die er brauchte?«
»Wenn ich mir das Mädchen ansehe, kann ich es eigentlich nicht glauben, dass sie einem solchen Kerl, auch wenn er sich gut tarnt, auf den Leim geht, Jerry. Aber das besagt natürlich nichts.«
»Wir werden uns also nochmals, und zwar mit einem Foto von Carloman, in die Morris Avenue begeben und das Mädchen vornehmen.«
»Dann geh du allein. Ich möchte zu Hodges Haus fahren und mich bei dem Diener erkundigen, ob Eva Edson wirklich rfur einmal dort war und ob sie ihrem Chef wirklich nur Papiere gebracht hat.«
»Okay. Machen wir also Arbeitsteilung. Ich möchte mir das Mädel unbedingt ansehen. Und außerdem fürchte ich, dass du, wie gewöhnlich bei Frauen, zu leicht geneigt bist, Mitleid zu haben.«
***
Ich machte mich auf den Weg zur Morris Avenue.
Es dämmerte bereits, als ich dort ankam.
Der Regen hatte zwar aufgehört, aber die Luft war diesig, und vom East River herauf wallten die Nebelschwaden.
Mrs. Edson war alles andere als erfreut darüber, dass schon wieder ein G-man kam, um mit ihrer Tochter zu sprechen. .
»Kommen Sie herein«, sagte sie. »Sie müssen sich allerdings ein paar Minuten gedulden. Eva ist gerade in der Küche.«
Die Tür zur Küche stand offen und ein Geruch wie von verbranntem Papier stieg mir in die Nase.
»Eva! Ein Herr möchte dich sprechen«, rief Mrs. Edson.
»Gleich, Mami.«
Ich hörte das harte Klappern von Herdringen.
Ich trat einen Schritt vor, sodass ich durch die halb offene Tür in die Küche sehen konnte.
Das junge Mädchen stand vor einem altmodischen Kohleherd, wie man ihn in Bronx noch finden kann. In der Hand hielt sie einen Schürhaken.
Sicherlich, es war November und recht kalt, aber…
Sie drehte sich um, und ich sah ihr bestürztes, ängstliches Gesicht.
Mit einem schnellen Griff nahm ich ihr das Schüreisen aus der Hand und hob die Herdringe herunter. Im Ofen brannte ein tüchtiges Kohlenfeuer, aber über diesem Kohlenfeuer lagen eine ganze Anzahl bereits vollkommen verkohlter Papierbogen. Das Einzige, was noch nicht restlos verbrannt war, war ein viereckiges Stück Pappe und darauf konnte ich durch die Glut die Goldbuchstaben Diary lesen.
Im nächsten Augenblick zerbrach es und zerfiel zu Asche.
»Was haben Sie da verbrannt, Miss Edson?«, fragte ich.
»Alte Papiere. Die heizen am besten.« Sie versuchte zu lächeln.
»War es nicht vielleicht Ihr Tagebuch?«
»Ein uraltes Tagebuch aus meiner Schulzeit. Ich benutze die Gelegenheit, um aufzuräumen. Ich kann ja nicht den ganzen Tag stillsitzen oder liegen und über diese scheußliche Sache nachdenken. Ich muss irgendetwas tun.«
Warum hatte sie gerade ihr Tagebuch verbrannt?
Junge Mädchen haben bisweilen die Angewohnheit, derartigen Büchern Dinge anzuvertrauen, die sie hinterher bereuen und gerne ungeschehen machen möchten. Da dies nicht möglich ist, vernichten sie wenigstens die Erinnerung daran, nämlich ihr Tagebuch.
Wir gingen ins Wohnzimmer.
»Ich habe Sie nur eine Kleinigkeit zu fragen«, sagte ich und griff in die Tasche. »Kennen Sie diesen Mann?«
Ich sah, wie sie zusammenzuckte, dann beugte sie sich über das Bild und prüfte es. Sie schob es ihrer Mutter hin und meinte:
»Er sieht zweifellos Mister Rickers ähnlich, aber ich glaube nicht, dass er es ist.«
Auch ihre Mutter schüttelte den Kopf.
»Er hat einen ganz anderen Haaransatz und einen anderen Gesichtsausdruck, aber eine Ähnlichkeit ist vorhanden, das gebe ich zu.«
»Eine Ähnlichkeit mit Ihrem Verlobten?«, fragte ich.
»Meinem ehemaligen Verlobten. Er hat mir Grund gegeben, mit ihm zu brechen.«
»Dann kann ja die Liebe nicht sehr groß gewesen sein.«
Eva zuckte die Achseln. »Gerade dann tut es doppelt weh, wenn man enttäuscht wird.«
»Ich will nicht indiskret sein, Miss Edson, aber es interessiert mich, womit der Mann Sie enttäuscht hat.«
»Ich sah ihn mit einer anderen und zwar in einer Situation, die unmissverständlich war. Das genügte mir.«
»Wie lange kannten Sie ihn denn?«
»Fünf Wochen. Er überrumpelte mich geradezu mit seiner Liebenswürdigkeit, und er sieht ja auch sehr gut aus. Er beteuerte mir seine Liebe so lange, bis ich selbst glaubte, ihn zu
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