034 - Die toten Augen
sein. Aber ich konnte mir natürlich auch eine falsche Geschichte zurechtgelegt haben. Schließlich besaß ich nur wenige Anhaltspunkte, vieles war nur Vermutung.
Und noch etwas anderes leuchtete mir ein: Der Verwalter wußte von den Gefangenen und wollte ihren Tod verhindern. Deshalb schien es Jane und dem Grafen unumgänglich, ihn auszuschalten.
Und schließlich wurde mir auch klar, daß mein Leben sich in höchster Gefahr befand. Vielleicht ließ sich der Graf wirklich von Jane überreden, ihre dunklen Pläne in die Tat umzusetzen.
Panische Angst erfaßte mich bei diesem Gedanken. Ich war dem Schicksal dankbar, daß ich zufällig von dem Vorhaben erfahren hatte. Ich nahm mir vor, heute abend nichts zu trinken außer frischem Wasser. So entging ich wenigstens der Gefahr, mit einem Schlafmittel betäubt zu werden. Natürlich würde ich überhaupt nicht schlafen, sondern wach bleiben und Posten beziehen.
Die andere Möglichkeit war, mich heimlich aus dem Schloß davonzustehlen. Aber bei diesem Gedanken kam ich mir sehr feige vor. Außerdem war ich zu neugierig. Ich mußte wissen, was hier gespielt wurde. Vielleicht konnte ich sogar den Opfern helfen.
Das Beste würde sein, mich mit Matthew zu verbünden, denn auch er schwebte in Gefahr. Ich mußte ihn sofort aufsuchen, um ihn zu warnen. Gemeinsam konnten wir vielleicht sogar einen Plan ausarbeiten, der den Grafen und dieses Ungeheuer Jane an ihrer Verbrechensausführung hinderte. Jane würde wahrscheinlich nicht davor zurückschrecken, alle umzubringen, die ihr in den Weg kamen, nur um ihre ehrgeizigen Pläne verwirklichen zu können.
Ich mußte Matthew erst gar nicht suchen. Er kam von selbst auf mein Zimmer, wie schon so oft. Nachdem er geklopft hatte, öffnete er die Tür einen Spaltbreit, sah herein und entschuldigte sich höflich. Er erklärte, er habe nur etwas abstauben wollen, aber es sei nicht so eilig.
„Warten Sie, Matt“, flüsterte ich aufgeregt. „Kommen Sie rasch herein. Ich muß Ihnen etwas sagen!“
Überrascht sah er mich an. Ich stand auf und schaute auf den Gang hinaus, um mich zu vergewissern, daß uns niemand zuhören konnte. Dann schloß ich die Tür und berichtete Matt in kurzen Worten von dem Gespräch, dessen Zeuge ich vor wenigen Minuten unfreiwillig geworden war.
Er wurde blaß, während ich sprach, und sein Gesicht verzog sich zu einer schmerzlichen Grimasse. Dann ließ er sich auf einen Stuhl fallen und senkte den Kopf, als habe man ihm einen Schlag versetzt. Er schwieg.
„Sagen Sie mir, Matthew, was passiert in diesem Haus?“ bat ich ihn eindringlich. „Ich möchte es endlich wissen.“
Er schüttelte abwehrend den Kopf. Dann stand er auf.
„Ich danke Ihnen, daß Sie mich gewarnt haben“, sagte er niedergeschlagen. „Trinken Sie heute auf keinen Fall etwas. Aber haben Sie trotzdem keine Angst. Ihr Leben ist nicht in Gefahr, Sir. Ich werde dafür sorgen. Ich trinke heute abend natürlich auch nichts.“
„Und … und die anderen?“ fragte ich erregt. „Sagen Sie mir alles, was Sie wissen.“
„Bitte, halten Sie sich heraus, Sir“, sagte er ernst. „Ich habe schon lange einen Plan gefaßt. Am besten ist es, wenn Sie heute nacht zu schlafen versuchen. Schließen Sie Ihre Tür gut ab. Morgen ist alles vorbei.“
Er ließ mich stehen, ohne noch ein weiteres Wort zu sagen. Das ärgerte mich. Aber ich hatte ihn gewarnt.
Er hatte mir geraten zu schlafen. Aber ich ahnte, daß mir das bestimmt nicht gelingen würde.
Mittags klagte ich über starke Kopfschmerzen, um dem Essen fernbleiben zu können. Der Verwalter brachte mir das Mittagessen auf einem Tablett ins Zimmer und versicherte mir lächelnd, daß mein Getränk kein Schlafmittel enthielte. Trotzdem wagte ich nicht, davon zu trinken. Ich leerte den Inhalt der Flasche ins Waschbecken und stillte meinen Durst mit Leitungswasser.
Am Abend setzte ich mich an den Eßtisch im Speisezimmer, um keinen Verdacht zu erregen. Aber ich nahm mir vor zu behaupten, ich hätte keinen Appetit. Doch der Graf erschien gar nicht zum Essen. So ließ ich alles unberührt stehen. Ich hätte tatsächlich keinen Bissen heruntergebracht. Mein Hals war vor Aufregung wie zugeschnürt.
Sehr bald zog ich mich wieder in mein Zimmer zurück. Matthew mußte sicher lächeln, wenn er den Tisch abdeckte und sah, wie wenig das von ihm servierte Essen Zuspruch gefunden hatte.
Ich kleidete mich aus, trank etwas frisches Wasser und legte mich aufs Bett, um abzuwarten, was geschehen würde.
Gegen
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