034 - Die toten Augen
zehn Uhr klopfte es. Ich schreckte auf. Es war Jane. Ich hatte die Tür nicht verschlossen, weil ich mich noch nicht in Gefahr glaubte. Sie brachte mir Tee auf einem Tablett und stellte ihn auf meinen Nachttisch.
„Ich dachte, Sie würden noch gern eine Tasse Tee trinken, da Sie sich nicht wohl fühlen“, erklärte sie und huschte wie ein Schatten aus meinem Zimmer, bevor ich mich noch bedankt hatte. Diese Heuchlerin.
Da stand also der Tee, in dem sie das Schlafmittel aufgelöst hatte. Natürlich ließ ich ihn unberührt. Bis zwölf Uhr blieb ich auf dem Bett liegen, aber dann hielt ich es nicht länger aus. Ich stand auf, zog mich an und öffnete meine Tür einen Spaltbreit. Nachdem ich meine Lampe gelöscht hatte, setzte ich mich auf einen Stuhl neben der Tür, preßte das Ohr an den Spalt und wartete zitternd.
Gegen halb zwei Uhr morgens sah ich einen schwachen Lichtschein durch den Spalt meiner Tür schimmern. Irgendwo wurde vorsichtig eine Türklinke heruntergedrückt, und dann huschten Schritte über den Teppich des Ganges, die sich in der Ferne verloren.
Ich steckte vorsichtig den Kopf durch den Türspalt und sah eine Gestalt am Ende des Flurs verschwinden. Es war der Graf, wie ich schon vermutet hatte. Er trug eine Laterne in der Hand. Ich verließ mein Zimmer und nahm mir vor, ihm zu folgen. Geräuschlos schlich ich ihm nach. Als ich an der breiten Treppe stand, die ins Erdgeschoß hinabführte, sah ich den Schein der Laterne in Richtung der Zimmer des Verwalters und seiner Frau verschwinden.
Sicher ging der Graf jetzt dorthin, wo er seine Frau und seinen Sohn versteckt hielt. Das mußte hinter der verschlossenen Tür am Ende des Ganges sein. Tatsächlich, ich sah aus der Entfernung, wie er einen Schlüssel hervorholte und die Tür vorsichtig aufschloß. Er verschwand hinter der Tür, die er leise schloß. Hoffentlich nicht mit dem Schlüssel! Denn dann konnte ich ihm nicht mehr folgen. Das gewaltsame Öffnen der Tür würde zu viel Lärm machen.
Gerade als ich behutsam weitergehen wollte, um nachzusehen, öffnete sich am Ende des Ganges eine seitliche Tür, und jemand kam mit einer Lampe aus einem der Dienstbotenzimmer. Das mußte Matthew sein.
Er öffnete die Tür am Ende des Ganges, hinter der der Graf soeben verschwunden war, und ging rasch weiter. Ich hastete ihm nach; er hatte die Tür hinter sich weit offengelassen. Ich befand mich in einem Gang, eine schmale Treppe führte nach unten, in die Kellergewölbe des Schlosses.
Vor mir befanden sich zwei Gänge. Einer führte geradeaus, der andere nach rechts. Ich sah den Verwalter gerade noch am Ende des rechten Ganges verschwinden. Ich wollte ihm folgen, als ich an der Wand des Ganges vor mir einen kleinen Lichtkreis sah.
Er kam aus einem Loch, das in das Holz der gegenüberliegenden Tür geschnitten war. Ich dachte, der Graf sei dort und ging zu der Tür.
Ich sah durch das Guckloch. Hinter der Tür lag ein Raum mit gewölbter Decke, in dem ein Bett und ein Tisch standen. Er wurde durch eine Laterne erleuchtet, die an einem Haken hing.
Der Graf beugte sich über das Bett und schüttelte den Arm eines Mannes, der dort lag. Plötzlich schien der Mann zu erwachen, bewegte sich und rief: „Vater, Vater!“
Die Stimme klang angstvoll und verzweifelt. Der junge Mann war also der Sohn des Grafen, jener Frederick, der angeblich in Frankreich umgekommen war, und der in Wirklichkeit in diesem dunklen Keller vom Grafen gefangengehalten wurde.
Wie ein Blitz leuchtete einen Augenblick das Metall der Handschellen auf. Dann stieß der Graf den jungen Mann trotz seiner Protestschreie vor sich her. Er hielt seine Hände hinter dem Rücken seines Sohnes zusammen, ließ die Handschellen zuschnappen und führte sein Opfer wie einen Verurteilten mit sich.
Die beiden kamen auf mich zu. Ich verschwand sofort von der Tür, versteckte mich hinter einer Ecke und beobachtete vorsichtig, was weiter geschah.
Der Graf schob seinen Sohn vor sich her in den nebenan liegenden Raum, dessen Tür er mit einem Schlüssel geöffnet hatte.
Ich wollte mich an das Guckloch der Tür schleichen, aber da kam der Graf schon wieder heraus. Er schloß die Tür und stellte sich selbst vor das Guckloch. So konnte ich nicht beobachten, was in dem Raum vor sich ging.
Ich wußte nicht, was ich in meinem Versteck tun sollte und beschloß, dem Verwalter zu folgen, damit ich keine Zeit verlor. Ich fand ihn auf einer Leiter an der Schloßmauer, die vor einem hoch liegenden Fenster
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