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034 - Die toten Augen

034 - Die toten Augen

Titel: 034 - Die toten Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Agapit
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stand. Das mußte das Fenster des ersten Raumes sein, aus dem der Graf seinen Sohn geholt hatte. Matthew stieg gerade wieder von der Leiter herunter und stellte sie ein paar Meter weiter unter ein anderes Fenster. Das war sicher das Fenster des zweiten Raumes, dessen Tür der Graf jetzt bewachte.
    Der Verwalter kletterte die Sprossen der Leiter hinauf und begann, oben angekommen, wild an einem der Gitterstäbe des Fensters zu rütteln. Er gab plötzlich nach, und Matt warf ihn in weitem Bogen fort. Der Eisenstab fiel mit lautem Scheppern auf den Steinboden.
    Vor meinen Augen hatte der Verwalter ein Seil in die Öffnung gelassen und verschwand nun durch das Fenster in Fredericks Zelle.
    Ich hastete zurück und sah gerade noch, wie der Graf nun seinerseits die Zelle betrat. Sicher hatte er Matthew bemerkt und wollte ihn behindern.
    Ich lief zu der halboffenen Tür und sah durch das Guckloch eine seltsame Szene: Der Verwalter stand reglos unter dem Fenster, in der einen Hand eine Laterne, in der anderen einen Revolver. Er schaute in meine Richtung.
    Ganz nah vor mir sah ich den Rücken des Grafen. Er ließ die Arme herunterhängen und rührte sich ebenfalls nicht. In der Mitte des Raumes stand Frederick, den ich von der Seite sah, und starrte wie versteinert auf das Lager. Dort erhob sich eine Gestalt, die ich nicht deutlich sehen konnte.
    Ich sah sie vom Profil, und etwas an ihrem Gesicht kam mir merkwürdig vor. Ihre Augen sahen aus wie dunkle Höhlen. Da begann der junge Mann schluchzend zu rufen.
    „Tante Claire!“
    Das sollte Tante Claire sein? Ich konnte es nicht glauben. Die Frau, die ich vor mir sah, war schrecklich dick und ungestalt, und in ein weites, formloses Gewand gehüllt.
    Sie hob die Arme und bewegte ihre Finger wie Krallen. Dabei stieß sie unverständliche Laute aus, die wie das Keuchen eines Tieres klangen.
    Und dann sprang sie plötzlich nach vorne und wollte sich auf den jungen Mann stürzen. Der wich erschrocken zurück und wimmerte:
    „Tante Claire … Tante Claire …“
    Sie ließ ihn nicht aus den Augen und kam immer näher auf ihn zu. Ich bemerkte, wie Frederick wie gebannt auf die dunklen Höhlen in ihrem Gesicht starrte, sein Mund war vor Entsetzen verzerrt.
    Als er ihr weiter ausweichen wollte, sah ich, daß man ihn mit dem Bein an eine lange Kette gebunden hatte, deren Ende losgemacht worden war. Auch Tante Claire schleifte solch eine Kette hinter sich her und verfolgte Frederick durch die ganze Zelle. Ihre Zähne knirschten dabei unheimlich, und Fredericks Stöhnen jagte mir kalte Schauer über den Rücken.
    Und dann warf sie sich plötzlich über ihn und kratzte mit ihren Nägeln in seinem Gesicht herum. Der junge Mann stieß sie mit der Schulter weg. Die auf den Rücken zusammengeketteten Hände hinderten ihn, sich richtig zur Wehr zu setzen. Das ganze Bild erinnerte mich an einen Stierkampf, bei dem der Stierkämpfer gefesselt war, damit das wütende Tier ihn besiegen konnte.
    Und dann stolperte der junge Mann plötzlich, fiel taumelnd zu Boden und blieb dort ohnmächtig liegen.
    Seine Verfolgerin stürzte sich sofort auf ihn, stieß ein gräßliches Röcheln aus und bearbeitete ihn mit den Fingernägeln. Ich wollte in die Zelle stürzen, um sie zurückzuhalten, aber ich war vor Schreck wie gelähmt. In diesem Augenblick stürzte der Verwalter herbei und richtete den Lauf seines Revolvers auf das Gesicht der Frau. Ein lauter Schuß hallte von den Mauern des Gewölbes wider, und der Körper der Erschossenen fiel zu Boden.
    Dann herrschte eine unheimliche Stille, die ewig lang zu dauern schien. Matthew und der Graf standen sich gegenüber. Der Verwalter hielt seinen Revolver auf den Grafen gerichtet und begann plötzlich zu sprechen.
    Da die Tür halb offenstand, konnte ich jedes Wort hören.
    „Mylord“, sagte er, „ich habe beschlossen, Sie zu töten. Aber ich habe nicht den Mut dazu. Ich werde Ihnen diese Waffe geben, und dann können Sie meinetwegen alle drei noch lebenden Personen in diesem Raum töten. Sich selbst auch, denn ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie dieses grauenhafte Schauspiel überleben wollen.
    Vielleicht aber wollen Sie auch nur einen einzigen Menschen töten. Gut, dann wählen Sie aus. Sicher wissen Sie, wie Sie wählen müssen, Mylord!“
    Dann gab er dem Grafen seinen Revolver. Der riß ihm die Waffe aus der Hand. Mit zitternder Hand richtete er die Mündung des Revolvers auf seinen Sohn, der immer noch am Boden lag. Dann bewegte sich seine Hand in

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