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034 - Die toten Augen

034 - Die toten Augen

Titel: 034 - Die toten Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Agapit
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Jane.“
    Er schwieg einen Augenblick. Ohne langes Nachdenken entfuhr es mir: „Und die Gräfin?“
    „Über sie möchte ich mit Ihnen sprechen. Zunächst einmal muß ich mich entschuldigen, daß ich Sie getäuscht habe. Das war leider notwendig, damit Sie Ihre eigene Rolle gut spielen konnten. Die Frau, die Sie mit einer Augenbinde im Bett liegen sahen, und die ich auch meinen Gästen gezeigt habe, war meine Haushälterin Jane. Sie hat sich für diesen kleinen Trick zur Verfügung gestellt.“
    Beinahe hätte ich ihm gesagt, daß ich das geahnt hatte. Aber das war ja gleichgültig. Wichtiger schien mir die Fortsetzung dieser Enthüllung, die kommen mußte. Ich machte ein erstauntes Gesicht, und der Graf fuhr fort: „Ihre Tante Claire ist gar nicht hier auf dem Schloß. Sie war es auch nie. Sie ist nämlich geisteskrank und lebt in einer Nervenheilanstalt in Frankreich. Ich werde Ihnen ein anderes Mal erzählen, wie es dazu kommen konnte, daß sie den Verstand verlor. Begnügen Sie sich im Augenblick damit, daß sie morgen früh nicht mit uns reisen wird.“
    „Geisteskrank? Tante Claire ist geisteskrank?“
    Ich konnte das einfach nicht glauben. War das wieder eine neue Lüge? Immer erfand er neue Geschichten, und eine klang so merkwürdig wie die andere. Und dann kam mir ein Einwand in den Sinn, den ich auch sofort aussprach.
    „Warum haben Sie dann überhaupt dauernd diese Komödie gespielt und den Leuten vorgemacht, Ihre Frau und Ihr Sohn seien hier bei Ihnen? Es wäre doch einfacher für Sie gewesen, in Frankreich zu bleiben und allen diesen Schwierigkeiten hier aus dem Weg zu gehen. Das verstehe ich wirklich nicht.“
    „Sie verstehen mich nicht, weil Sie nicht in meiner Haut stecken“, antwortete der Graf ungeduldig. „Es geht um die Ehre, den guten Ruf. Nachdem ich dreizehn Jahre lang fort war, sollte man mich und meine Familie in England wohlauf wiedersehen. Außerdem ließ es sich nicht verhindern, daß in Frankreich Gerüchte entstanden. Die Zeitungen begannen, sich mit der Affäre zu beschäftigen. Diese Artikel hätten auch von meinen Bekannten in England gelesen werden können. Ich wollte alle Gerüchte zum Schweigen bringen und den Leuten zeigen, daß alles nicht stimmte.“
    Diese Erklärungen überzeugten mich nicht sehr. Ich hatte das deutliche Gefühl, daß etwas daran faul war.
    „Gehen Sie heute abend bald zu Bett“, fuhr der Graf fort, „damit Sie ausgeruht sind, wenn Sie morgen in aller Frühe geweckt werden. Sobald wir in Frankreich angekommen sind, gebe ich Ihnen den versprochenen Scheck“, fügte er rasch hinzu, als habe er Angst, ich könnte widersprechen. „Ich werde Sie von nun an als meinen Sohn betrachten. Ich möchte Ihnen danken für die Hilfe, die Sie mir in dieser fatalen Situation gewährt haben. Ich empfinde aufrichtige Zuneigung für Sie, glauben Sie mir.“
    Damit stand er auf, nickte mir zu und verließ mit festen Schritten die Bibliothek.
    Als ich allein war, konnte ich nicht umhin, mir alles noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen. Ich beschloß plötzlich, mich in den großen Salon hinüber zu setzen, um meine Gedanken zu ordnen. Der Salon befand sich nur ein paar Türen weiter.
    Warum wollte ich damals ausgerechnet in den Salon gehen, so frage ich mich heute. War das eine Eingebung des Himmels? Oder war es nur der Wunsch, dem Grafen nicht wieder zu begegnen, falls er in die Bibliothek zurückkam? Was es auch sein mochte, ich ging jedenfalls in den Salon hinüber und setzte mich, mit einem Buch in der Hand, in einen riesigen weichen Sessel, der vor einem der großen Fenster zum Park stand.
    Dieser Sessel, der eine sehr hohe Rückenlehne hatte, stand zufällig mit dem Rücken zum Zimmer. Ich setzte mich hinein und begann, in dem Buch zu blättern, um mich etwas zu zerstreuen. Aber das Tageslicht blendete mich. Ich wollte gerade aufstehen und den Sessel etwas herumdrehen, da öffnete sich die Tür, und ich hörte die Stimme des Grafen.
    „Er sitzt noch in der Bibliothek“, sagte er. „Gehen wir hier hinein, wenn Sie mir etwas zu sagen haben.“
    Ich wagte mich nicht zu rühren, obwohl ich mir unbehaglich vorkam, ein Gespräch unfreiwillig zu belauschen. Aber bald fesselte mich die Unterhaltung so, daß ich wie gebannt dasaß und angstvoll lauschte.
    Es war Jane, die mit dem Grafen sprach. Sie bedienten sich der englischen Sprache. Ich verstand nicht alles, denn die beiden gaben sich Mühe, leise zu reden. Außerdem verstand ich die Bedeutung einiger Worte

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