0356 - Die Frau, die zweimal starb
sich bemerkbar zu machen.
Und er konnte denken!
Das war wohl das wichtigste überhaupt in seinem Fall, aber auch das Grauenhafteste und Perverseste. Sein Verstand arbeitete so exakt, wie er geschaffen worden war. Er konnte Gedanken formulieren, ihm gelang es, Schlüsse zu ziehen, auch logisch zu überlegen, und so blieb es nicht aus, daß er über sein furchtbares Schicksal nachdachte.
Von Natur aus gehörte er zu den Grüblern, zu den Fragern. Er zählte sich zu der seltenen Gruppe von Menschen, die nicht alles kritiklos hinnahmen, sondern nachfragten, Hintergründe erkennen wollten, um Zusammenhänge aufzudecken und zu verstehen.
So etwas konnte sehr positiv und fruchtbar für einen Menschen sein. War dieser Mensch jedoch gefangen, so wie Mandra Korab, dann wurde das Grübeln zu einer selbstzerstörerischen Qual. Dann war es praktisch der Anfang vom Ende, denn Hilflosigkeit ist für aktive Menschen die schlimmste Folter, die es gibt.
Und Mandra Korab war hilflos!
Er steckte in einer alten Schiffsplanke. Sie hatte einmal zu einer Brigantine gehört. So nennt man die Ausflugsschiffe, die in Hongkong vor Anker liegen und von Touristengruppen gechartert werden konnten, um Abstecher in das Seegebiet um Hongkong zu starten.
So eine Brigantine war von Mandra Korab durchsucht worden.
Nicht ohne Grund, denn er hatte gehofft, Hinweise auf einen mächtigen und furchtbaren Dämon zu finden, auf das Fratzengesicht.
Diese Hoffnung hatte sich mehr als erfüllt, denn Mandra Korab war es gelungen, das Fratzengesicht zu stellen. Er hatte den janusköpfigen Dämon gesehen, war gegen ihn angetreten und hatte verloren. Die Macht des Fratzengesichts konnte von ihm nicht gebrochen werden. Im Gegenteil, der Dämon hatte mit ihm gespielt und ihm seine eigene Macht auf grausame Art und Weise bewiesen.
Mandra Korab war im Bauch des von dem Fratzengesicht beherrschten Schiffes in eine Magie hineingeraten, die ihn in eine Planke verbannt hatte.
Dabei wußte er nicht einmal, ob sein gesamter Körper in der Planke steckte. Zu sehen jedenfalls war nur sein Gesicht, und dieses im Holz steckende Gesicht besaß noch all die positiven Kräfte, die dem Inder auch als normaler Mensch zuteil geworden waren.
Er steckte fest, bekam mit, was in seiner Umgebung geschah und konnte sich trotzdem nicht bemerkbar machen.
So wurde er von seinem Freund John Sinclair gefunden. Der Geisterjäger und auch Suko sowie Shao hatten die Planke entdeckt und waren entsetzt gewesen.
Das hatte Mandra mitbekommen, er hätte gern geschrieben, etwas gesagt oder wäre auf andere Art und Weise mit den Freunden in Kontakt getreten. Leider war ihm dies nicht möglich, so mußte er mitansehen, wie verzweifelt die anderen versuchten, einen Weg zu seiner Befreiung zu finden.
Es gab keinen.
John Sinclair, Suko und Shao blieb nichts anderes übrig, als die Planke mitzunehmen. So wurde dieses alte Stück Bordwand mit dem Gesicht des Inders darin nach London geschafft, und John Sinclair verwahrte es in seiner Wohnung auf.
Dort blieb Mandra.
Und genau da begann die Qual von neuem.
Die Magie hörte nicht auf. Mandra erlebte die Dinge, die sich in der Wohnung taten, hautnah mit. Er hörte Gespräche, er wußte von Fällen, die John Sinclair zu lösen hatte oder lösen wollte, sah die Besucher, wenn sie sich die Planke anschauten und verzweifelt davorstanden, so daß sie ebenso geschockt waren wie Mandra, denn gegen das schlimme Schicksal konnte niemand ankämpfen.
Mandra blieb gefangen, die anderen hilflos.
Zeit verstrich.
Aus Tagen wurden Wochen. Aus Wochen schließlich Monate, und Mandra blieb ein Gefangener der Planke, grübelte weiter und wollte sich einfach nicht mit seinem Schicksal abfinden.
Irgendwann aber wird jeder Mensch mürbe. Jeder Geist erlebt einmal eine Schwäche, darin machte auch Mandra keine Ausnahme. So kam es dann, daß er damit anfing, sich mit seinem Schicksal abzufinden.
Er besaß auch nicht mehr die Kraft wie zu Beginn. Sein Geist war einfach müde geworden.
Mandra hatte lange genug gegen Dämonen gekämpft, um erkennen zu können, wann er verloren hatte.
Hier hatte er verloren.
Es gab keinen Weg mehr zurück.
Was die Totengöttin Kali nicht geschafft hatte, war dem Fratzengesicht gelungen. Dieser Dämon hatte sich eine furchtbare Strafe für den Inder ausgesucht, und Mandra ging davon aus, daß er für alle Zeiten innerhalb der Schiffsplanke gefangen sein würde.
Vielleicht würde er irgendwann einmal auf eine Art und Weise erlöst, die
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