0363 - Der Werwolf von Alaska
Vielleicht solltest du… solltet ihr euch Gedanken darüber machen, daß es vielleicht auch ein anderer sein könnte. Denkt an den Dhyarra-Kristall in MacNells Schreibtisch…«
Nicole beugte sich vor.
»Woher weißt du das denn schon wieder? Ich glaube nicht, daß MacNell dir davon erzählt hat.«
»Ich weiß es eben«, sagte Taurak. »Aber zieh keine falschen Schlüsse. Ich habe ihn nicht dort hineingelegt. Ich habe euch auch nicht den Koffer gestohlen. Ich habe den Inhalt nicht manipuliert. Sicher, ich wußte davon, daß es geschehen war. Aber… ihr verrennt euch in einen Verdacht, der falsch ist. Nicht jeder, der nicht damit einverstanden ist, daß hier ein Ölcamp steht, greift zu radikalen Mitteln.«
»Was soll das heißen?« fragte Zamorra. »Daß du etwas gegen dieses Camp hast?«
Taurak nickte.
»Es stört die Ruhe der Natur«, sagte er. »Einst war das hier ein stilles Land in der Kälte am Rand der Welt. Es gab hier Tiere, die man jagen konnte. Hier, in dieser Gegend, vollbrachten die Jungen unseres Volkes ihre Mutproben. Hierhin zogen sich jene zurück, die in Ekstase tanzten und warteten, daß die Geister zu ihnen sprachen, um sie zu Wissenden zu machen, zu Schamanen. Auch mich haben die Geister einst hier, in diesem Landstrich, berührt. Es ist das Land der Stille. Und das Camp mit seiner Hektik, seinen lauten Menschen und Maschinen - es zerstört alles. Alles. Und deshalb bin ich dagegen. Ich will das Camp hier nicht.«
»Warum bist du dann hier, Taurak?« fragte Zamorra.
Taurak blieb ernst.
»Ich will dabei sein, wenn es zerstört wird, wenn es zerfällt und verödet. Ich will sehen, wie die Männer aus dem Süden scheitern. Wie ihr ehrgeiziges Projekt zerfällt, hier Öl fördern zu wollen.«
»Und du sorgst nachhaltig dafür, wie?«
»Nein. Ich bin nur ein Beobachter«, sagte Taurak, aber für ein paar Sekunden schien sein Blick unruhig zu flakkern. »Und ich bin nicht der einzige, der dieses Camp haßt. Wir alle mögen es nicht. Wir Innuit, die Indianer…«
»Aber warum seid ihr dann alle hier? Warum arbeitdet ihr hier?«
»Geld!« sagte Taurak. »Wir hassen das Camp, aber wir brauchen das Geld. Verstehst du, Zamorra? Wir müssen leben! Und so nutzenjwir die Möglichkeit, hier Geld zu verdienen, solange es das Camp gibt. Deshalb auch macht niemand Anstrengungen, es zu vernichten, obgleich jeder froh darüber wäre…«
»Das ist doch paradox«, behauptete Nicole. »Auf der einen Seite froh darüber zu sein, daß ihr auf der anderen Seite dann kein Geld mehr verdienen könntet…«
»Wir müßten es uns mit anderer Arbeit verdienen, und schwerer darum kämpfen«, sagte Taurak. »Das leicht verdiente Geld wird eben deshalb akzeptiert. Aber keiner von uns ist damit glücklich.«
»Und einer von euch ist deshalb zur mordenden Bestie geworden«, hielt Zamorra ihm vor. »Und du weißt, wer es ist, Taurak.«
Taurak erhob sich.
»Unser Gespräch geht in eine Richtung, die mir nicht behagt«, sagte Taurak. »Und ich werde es deshalb nicht fortsetzen.« Er erhob sich, nahm den fertigen und den unfertigen Steinkopf und sein Taschenwerkzeug und verschwand.
Inzwischen hatte sich der Raum gefüllt. Die kopfstarke Tagschicht hatte Feierabend, und die Männer drängten in den Saloon, um zu trinken, zu reden, zu spielen und die Darbietungen zu genießen. Die kleine Band malträtierte bereits ihre Instrumente.
»Ich werde aus diesem Taurak nicht klug«, gestand Nicole. »Auf der einen Seite ergeht er sich in Andeutungen, auf der anderen Seite legt er jetzt die Karten auf den Tisch…«
»Hat er das wirklich getan?« widersprach Zamorra. »Er hat doch nur ein Motiv genannt. Mehr nicht. Aber wer bereit ist, dafür zu töten, daß dieses Land wieder von der Ölindustrie befreit wird…?«
Auf der Bühne glommen die gedämpften Scheinwerfer auf, und Alana erschien. Ihr Auftritt war abendliche Routine, und dennoch zog sie wieder die Aufmerksamkeit der Männer im Saloon auf sich. Sie tanzte mit schnellen, geschmeidigen Bewegungen. Und sie wußte sehr genau, wie sie sich bewegen mußte. Sie hatte ihr Publikum sofort im Griff. Sie reizte nicht mit einem Stiptease, sondern erschien direkt völlig nackt. Sie wirkte aufregend, aber trotz ihre Nacktheit keine Sekunde lang obszön. Nicole erinnerte sich an Alanas Worte. Macht über die tierischen Instinkte der Männer, die mir zuschauen. Ja, sie übte ihre Macht aus.
Sie entdeckte Zamorra und Nicole an ihrem bühnennahen Tisch. Plötzlich sprang sie von
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