0364 - Shimadas Höllenschloß
Fußspitzen vom Wasser fast berührt wurden. Und er hatte sein Schwert gezogen, das mehr einem Degen glich, weil seine Klinge ziemlich schmal, dafür aber unglaublich fest und widerstandsfähig war.
Mit dieser Klinge schlug er einen Bogen, um im nächsten Augenblick die Spitze in den Brunnen einzutauchen.
Auch bei der leichtesten Bewegung wirft Wasser kleine Wellen.
Das geschah hier nicht. Shimada konnte die Klinge ein kleines Stück eintauchen, ohne daß eine einzige Welle entstand. Ein Mensch hätte sicherlich den Vergleich mit flüssigem Blei benutzt.
Er wollte sehen. Dieser Teich, aus einer anderen Zeit gekommen undirgendwo im Nichts entstanden, sollte ihm zeigen, wie es um ihn und seine großen Pläne stand.
Würde er den Würfel bekommen?
Fordernd starrte er auf den Teich, den er das »blaue Auge« nannte. Wieder wurde er an einen Spiegel erinnert, aber dieser Spiegel zeigte kein Bild. Noch nicht…
Wenn er etwas sah, dann stieg es aus den Tiefen hoch und drang langsam an die Oberfläche, wo es sich deutlich abmalte, so daß er erkennen und die Konsequenzen ziehen konnte.
Es war eine Person, eine Gestalt. Man konnte ihm keine Gefühle andichten, doch in diesen Augenblicken fühlte er fast wie ein Mensch. Er zitterte einem Erfolg entgegen, bisher hatte ihn das »blaue Auge« noch nie enttäuscht.
Es geschah!
Allerdings anders, als Shimada es erwartet hätte. Urplötzlich umgab ihn das Chaos. Aus einem für ihn nicht erkennbaren Himmel stürmte und toste es herab.
Blitze und Donner jagten in die Nebel hinein, spalteten sie, rissen sie auseinander, und selbst Shimada, der sich fast als unbesiegbar bezeichnete, zuckte zurück, als er inmitten dieser entfesselten Gewalten stand und zum Zuschauer degradiert wurde.
Zwei Schritte ging er nach hinten. Dabei behielt er sein Augenmerk auf den kleinen Teich gerichtet, und er hatte das Gefühl, als würde der See die gewaltigen Blitze anziehen.
Über dieser Rundung sammelten sie sich, und die blaue Oberfläche wirkte wie ein Trichter.
Grün, blau, rot – diese Farben vereinigten sich innerhalb des Blitzwirrwarrs, drehten sich zu einer Kegelform zusammen und rasten, begleitet von krachenden Donnerschlägen, in das »blaue Auge« hinein. Mit der Spitze zuerst.
Wollten die konzentrierten Blitze es zerstören?
So ähnlich dachte auch Shimada, und er begann zu schreien.
Urige Laute drangen aus seinem Maul, und das Tuch vor den Lippen dämpfte sie nur unvollständig.
Shimada wußte in diesen Augenblicken Bescheid, daß nicht alles korrekt verlaufen war. Eine große Hoffnung war zusammengebrochen. Das ihn umgebende Chaos sprach davon, und er selbst, der sonst immer alles allein erledigt hatte, konnte nichts tun. Er stand inmitten seines Todesgartens und schaute nur zu.
Der See zog die Blitze weiterhin an. Sturm toste plötzlich durch den Garten und rüttelte auch an der einsam dastehenden Gestalt vor dem »blauen Auge«.
Selbst Shimada hatte Mühe, diesen Gewalten zu trotzen, aber er stand wie eine Eiche und wartete ab, bis diese selbst für ihn hohe Magie sich entladen hatte.
Das trat ein.
Allmählich wurden die Blitze weniger. Nur mehr ein fahles Wetterleuchten riß die Atmosphäre auf und übergoß Schloß und Garten mit seinem bleichen Totenlicht.
Ein letzter Donnerschlag erklang. Wie das Gebrüll eines Raubtieres zerschmetterte er die Luft und ließ die Erde beben.
Shimada schaute zum finsteren Himmel. Dort hatte sich die düstere Wand wieder geschlossen.
Kein Licht mehr, kein Blitz, kein Donner, die Stille kam und senkte sich über das Höllenschloß zwischen den Zeiten.
Auch die Oberfläche des Brunnens wurde nicht mehr erschüttert.
Wie ein dunkler Spiegel lag sie vor den Blicken des Giganten Shimada. Allmählich gelang es auch ihm, seine Überraschung zu überwinden. Er legte die ihn vom Brunnen trennende Distanz wieder zurück, blieb an der gleichen Stelle stehen und schaute auf die Oberfläche.
Dort sah er ein Bild!
Viel zeigte es nicht. Eigentlich nur zwei Männer. Dies allerdings reichte, um ihn vor Wut kochen zu lassen.
Der eine Mann lag am Boden. Ein Pfeil hatte ihn mitten in den Hals getroffen.
Und abgeschossen hatte ihn der zweite Mann. Ein blonder Kämpfer, ein Feind des Shimada. Yakup Yalcinkaya hieß diese Person, auf die Shimada einen so großen Haß hatte.
Nur den Würfel sah er nicht. Er mußte irgendwo verschlossen sein, aber Shimada wußte, daß er ihn haben mußte und er nicht eher ruhen würde, bis ihm das gelang.
Dumpfe
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