1476 - Höllenbilder
Sie rannte und drehte sich dabei immer wieder um. Die schnellen Blicke über die Schulter brachten auch nichts. Zu sehen waren die Verfolger nicht und auch nicht zu hören. Die einzigen Laute, die sie vernahm, waren das eigene Keuchen und das Hämmern ihrer Füße auf dem weichen Boden. In der Natur zu laufen war nicht jedermanns Sache. Besonders dann nicht, wenn die Schuhe für einen solchen Untergrund nicht geeignet waren. Das merkte die Frau sehr schnell.
Sie wartete nur darauf, dass aus ihren Slippern Fetzen wurden, aber noch hielten sie, und sie brauchte ihre Flucht nicht barfuß fortzusetzen. Ihre Kleidung hatte sie zurücklassen müssen. Sie hatte sich nur noch soeben das große Tuch schnappen können, es sich um den nackten Körper gewickelt und hatte dann die Flucht ergriffen.
War sie bereits bemerkt worden? Hatte Nykill es schon festgestellt, oder hatte er sie nur allein lassen wollen?
Sie konnte keine Antwort darauf geben. Irgendwie wollte sie es auch nicht. Das Leben war ihr jetzt wichtiger.
Es hatte in den letzten Tagen recht stark geregnet, und so führte der Fluss nach der langen Trockenperiode wieder Wasser. Das Rauschen hörte sie noch nicht, und sie wusste auch, dass noch ein Hindernis vor ihr lag. Es war der Abhang, der zum Wasser führte, und den durfte sie nicht unterschätzen.
Erneut drehte sie sich um.
Die Landschaft tanzte beim Laufen vor ihren Augen. Zum Glück tanzte kein Verfolger mit. Das ließ neue Hoffnung in ihr aufkeimen, und sie versuchte, sich noch mehr anzustrengen, um so schnell wie möglich den Fluss zu erreichen.
Jessica kämpfte zudem gegen die Widrigkeiten der Natur an.
Sträucher und Büsche standen ihr im Weg. Zum Glück keine Bäume, die wuchsen erst an der anderen Seite des Gewässers.
Sie lief weiter. Der Wind drückte ihr das Flattertuch gegen den Körper. Ihre Augen brannten. Sie hatten sich mit Tränen gefüllt und behinderten ihre Sicht.
Weiter – sie musste weiter, und sie wollte noch schneller sein. Sie durfte ihre Verfolger nicht unterschätzen, denn sie waren nicht mit normalen Menschen zu vergleichen.
Hundert Pfund hätte sie für den Job bekommen sollen. Hundert Pfund dafür, dass man sie umbrachte. Damit hatte sie einfach nicht rechnen können, aber es war leider so.
Sie kämpfte sich vor. Verbissen, keuchend.
Jessica wusste nicht, wie lange sie schon auf der Flucht war, aber auch bei ihr gab es einen Punkt, an dem der Körper ihr den Dienst versagte.
Die Beine wurden ihr schwer. Seitenstiche begannen sie zu quälen.
Ihr hübsches Gesicht war nur noch eine Fratze. Das lange Haar flatterte im Wind und schlug ihr manchmal ins Gesicht.
Während sie lief, wischte sie über die Augen, um klarer sehen zu können. Sie wollte endlich wissen, wohin sie genau lief, und sie sah tatsächlich etwas, das ihr wieder Hoffnung gab.
Die Vegetation hatte sich zurückgezogen. Es gab nicht mehr so viele Hindernisse. Dünnes Gras, hin und wieder mal ein Buckel, ein paar hohe Sträucher. Sie wusste jetzt, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis sie den Abhang erreicht hatte. Es war zum Glück keine Felswand, die senkrecht in die Tiefe stürzte. Unterschätzen durfte sie den Hang mit seinen zahlreichen Hindernissen dennoch nicht.
Sie lief nicht mehr. Ihre Kraft war am Ende. Ihr Gang glich jetzt einem Dahinschleppen, und als Atmen konnte sie das Geräusch auch nicht bezeichnen, das aus ihrem Mund drang. Es war mehr ein wildes Keuchen und manchmal hatte sie das Gefühl, als würde sie sich jeden Augenblick übergeben müssen.
Sie lief mit nach vorn gebeugtem Oberkörper. Ihre Arme pendelten rechts und links wie zwei Stöcke. Die Augen waren weit geöffnet, ebenso der Mund. Sie sah alles nur verschwommen, sie dachte an den Abgrund, doch sie nahm seinen Beginn noch nicht wahr.
Jetzt schleiften ihre Füße über den Boden hinweg. Sie bekam sie kaum mehr in die Höhe, und ihr Gesicht zeigte einen verbissenen Ausdruck.
Noch mal der Blick zurück!
Es war kein Skelett auf einem Pferd und auch kein anderer Dämon zu sehen.
Jessica drehte sich wieder um.
Zu heftig, sodass ihr schwindlig wurde. Sie taumelte nach vorn und sah nicht, wie dicht der Abhang bereits vor ihr lag.
Von den vier schwankenden Schritten war genau einer zu viel.
Jessica merkte es zu spät. Da trat sie mit dem rechten Fuß bereits ins Leere. Sie wollte sich noch zurückwerfen, stemmte ihren linken Fuß in den Boden, doch die Kante des Abgrunds gab unter ihr nach und sie verlor den Halt.
Sie hatte
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