0365 - Im Tempel des Todes
was!«
Zamorra wies auf den Gefangenen.
»Wir werden ihn ein wenig verhören, wenn er aufwacht«, sagte er. »Das hilft uns mehr, als wenn wir uns jetzt blindlings in den Wald stürzen.«
***
Lucy Dolyn erwachte. Sie war in ständiger Bewegung, als befände sie sich auf einem Schiff auf hoher See. Äste knackten, Laubwerk raschelte, Stoff bewegte sich… sie begriff, daß sie getragen wurde.
Sie erinnert sich: Dowley! Der Mann, den sie vor Tagen hatte in der Falle sterben sehen, war plötzlich vor ihr aufgetaucht. Unversehrt. Lebendig. Er war auf sie zugekommen.
Noch bevor sie ihn fragen konnte, wie das Unmögliche möglich geworden war, hatte jemand laut »Überfall« geschrien. Plötzlich war überall der Teufel los gewesen. Dowley hatte sie niedergeschlagen. Das letzte, woran sie sich erinnern konnte, waren seine Augen, die in grellem Gelb aufglühten und seine heranrasende Faust, der sie nicht mehr ausweichen konnte.
Und jetzt wurde sie durch den Dschungel getragen!
Das klare Denken kehrte zurück. Sie begriff, daß sie entführt worden war. Der Mann, der sie trug und dem eine eigenartige Ausdünstung anhaftete, konnte niemand anderer als Dowley sein, der Totgeglaubte. Aber warum verschleppte er sie? Was hatte er mit ihr vor?
Nichts Gutes! Denn sonst hätte er diese gewaltsame Entführung nicht nötig gehabt.
Und dieser Gestank… wie im Zoo in einem Reptil-Terrarium!
Lucy mußte versuchen, sich zu befreien.
Sie spannte die Muskeln an, um zuzuschlagen, um sich aus seinem Griff gleiten zu lassen und wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen.
Aber irgendwie hatte er die Muskelbewegungen gespürt. Sein Griff um ihre Gliedmaßen verstärkte sich. Sie riß die Hände los, schlug zu. Aber ihre Schläge verpufften wirkungslos. Er nahm sie hin, ließ sie fallen und trat einmal kurz zu. Lucy schrie auf. Der Schmerz betäubte sie fast. Dowley riß sie wieder hoch. Er zischte etwas. Entgeistert starrte sie die Schlangenzunge an, die dabei zwischen seinen Zähnen hervorzuckte. Spitze Eckzähne, wie die einer Schlange!
Abermals schrie Lucy. Sie glaubte den Verstand zu verlieren. Das konnte doch nur ein grausamer Alptraum sein…
Aber aus jedem Alptraum gab es ein Erwachen.
Hier nicht. Dowley nahm sie wieder in den Griff. So, daß sie sich kein zweites Mal befreien konnte. Er trug sie weiter durch den Dschungel. Er bewegte sich unglaublich schnell, fast so schnell wie ein Auto. Widerstand schien es für ihn nicht zu geben.
Und dann sah Lucy plötzlich die Lichtung mit dem Tempel vor sich.
Der Tempel, zu dem sie gewollt hatte, um den Schatz zu bergen.
Doch jetzt wünschte sie sich, sie hätte nie davon gehört und sich nie auf dieses Abenteuer eingelassen.
Im Tempel konnte nur eines auf sie warten.
Der Tod.
***
»Ein Opfer«, erkannte Sahri. »Der Überfall hat also tatsächlich wenigstens etwas gebracht.«
»Ja«, sagte Mansur Panshurab, der Mann mit dem Turban. »Aber das reicht mir nicht. Der Diener bringt das falsche Opfer.«
»Immerhin ist es eines, das nach dem Zeremoniell dargebracht werden kann«, erwiderte die Inderin. »Das bedeutet Stärke. Mehr Stärke als zuvor.«
»Zumindest bedeutete es, daß wir den Versuch wagen können«, sagte Panshurab. »Aber ich bin sicher, daß Zamorra und seine Begleiter inzwischen Bescheid wissen. Wir werden schnell sein müssen, wenn wir das Ritual vorher vollziehen wollen. Es kostet Zeit, viel Zeit. Das weißt du.«
Sahri neigte den Kopf.
»Wir werden ihnen an Kräften entgegenwerfen, was wir aufzubieten haben«, schlug sie vor. »Wir werden Zamorra damit lange genug aufhalten.«
In Panshurabs Augen trat wieder das gelbe Flackern.
»Aber vergiß nicht - ich will ihn lebend. Ich will ihn hier auf dem Altar sehen. Als Toter nützt er mir nichts mehr.«
Sahri nickte.
»Du wirst ihn bekommen - Chef«, sagte sie.
Ein zorniger Blick traf sie. Die schöne Frau lächelte und verschwand, um den Dienern Anweisungen zu erteilen.
Panshurabs Mund öffnete sich und zeigte spitze Fangzähne. Eine gespaltene Zunge witterte nach dem Geruch des Opfers Lucy Dolyn, das zum Tempel geschafft wurde, in dem er sich befand.
Und nicht nur er…
***
Ein reißendes, prasselndes Geräusch erklang, begleitet von einem widerlichen Schmatzen. Zamorra fuhr herum. Er sah, wie das Seil, mit dem sie den Schlangenmenschen umwickelt hatten, zusammenfiel. Er war erwacht, ohne daß sie es bemerkten, und nahm die Gestalt einer riesigen Kobra an. Seine Gliedmaßen verschmolzen unter
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