0367 - Der Hexenbaum
und Eysenbeißens Machtergreifung tolerierte, vermochten sie offen nichts gegen ihn zu unternehmen. Sie konnten nur intrigieren.
So wie er selbst es immer getan hatte und auch jetzt weiter tat. Es lag ihm viel daran, potentielle Gegner zu schwächen. Wenn er Wang Lee traf, traf er damit auch Leonardo. Und noch interessanter mochte es werden, wenn es ihm gelang, die beiden gegeneinander auszuspielen. Wang wollte sich von der Hölle lösen. Vielleicht bot sich hier eine Gelegenheit, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen…
Es galt, Vorgänge zu beschleunigen, die ohnehin bald ablaufen würden, und ihnen eine Richtung zu geben, die den eigenen Plänen und der eigenen Machtfestigung förderlich war.
Eysenbeiß schickte sich an, das zu tun.
***
Unzählige Kerzenflammen flackerten unruhig. Nebel wallte durch die düstere Grotte. Schemenhaft war im Hintergrund ein auf dem Kopf stehendes Kreuz in einem Drudenfuß zu sehen, umgeben von magischen Ornamenten. Ein düsteres, rötliches Licht ließ den Körper des auf den Opferstein gefesselten Mannes fast unwirklich erscheinen. Mit schwarzer Farbe waren Symbole und Linien auf seine Haut gemalt worden. Zu den Klängen einer eigentümlichen, schwermütigen Melodie umtanzten sieben junge, nackte Frauen mit wehendem Haar und langen Reiserbesen den Opferstein.
In kurzen Abständen flammten grelle Blitze auf. Die Frauen bewegten sich in immer wilder werdendem Rhythmus, wirbelten um den Stein und den Gefesselten.
Plötzlich erstarrte jede Bewegung.
Aus den rötlichen Nebelschwaden trat die Gestalt des Gehörnten hervor, zottig behaart, die Hände mit den Krallenfingern erhoben. Wieder flammten die Blitze. Der Teufel näherte sich dem Opferstein.
Eine der nackten Hexen reichte ihm einen reich verzierten Opferdolch mit goldenem, diamentenfunkelnden Griff. Der Teufel blieb vor dem Gefesselten stehen, in dessen Gesicht sich Todesangst abzeichnete. Der Dolch schwebte über seiner Brust, wurde hin und her bewegt, folgte den Linien der schwarzen Farbe. Dann stieß er, immer noch begleitet von den zuckenden Blitzen, herab…
Schlagartig wurde es hell.
Die düstere Atmosphäre schwand jäh. Gnadenloses elektrisches Licht erleuchtete die bizarre Szenerie.
»Großartig!« schrie Johnny Preston. »Fantastisch! Erste Klasse! Genau das war es, wie ich es haben wollte! Einfach toll. Sofort entwickeln, Ray! Ich will die Bilder in spätestens einer Stunde auf meinem Tisch liegen haben, im Großformat! Los, mach schon!«
Der Fotograf warf die drei Kameras einem der beiden Assistenten zu. Der Teufel riß sich die aufgeklebten Hörner von der Stirn, rupfte an der zottigen Körperbehaarung. Der Gefesselte erhob sich, warf die nur um seine Hand- und Fußgelenke gelegten Schnüre ab und griff nach dem Kunststoffdolch aus dem Spielwarengeschäft. Spielerisch warf er die Klinge nach dem »Teufel«.
»Du warst überwältigend«, grinste er. »Für einen Moment glaubte ich, du wärst tatsächlich der Leibhaftige…«
»Können wir uns jetzt wieder anziehen, oder willst du noch ein paar Bilder haben?« fragte eines der Mädchen.
Johnny Preston, der Fotograf, grinste. »Wir sind fertig, sagte ich. Aber ich will euch natürlich nicht zum Anziehen zwingen. Ihr seht süß aus.«
»Ich verschwinde unter die Dusche«, sagte der Gefesselte. »Damit die ganze Schmiere endlich weg kommt.« Er strich sich über die Farblinien und Symbole. Die Maskenbildnerin half derweil dem »Teufel«, aus seinen Fellresten zu kommen. Preston verließ das Studio jetzt ebenfalls, das mit ein bißchen Pappmaché, Folien und der Nebelmaschine sowie einigen Rotlicht-Lampen zu einer Zeremonienhöhle gemacht worden war. Er ging nach nebenan ins Büro, um die Schecks fertig zu machen. Die Modells hatte er mit einer Zeitungsannonce angesprochen, würde sie jetzt auszahlen, und schon war die Sache erledigt. Preston gehörte zu den seriösen und erfolgreichen Fotografen, und er arbeitete vorwiegend mit unerfahrenen Modellen - die wären meist ebenso hübsch wie die Girls, die von Agenturen angeboten wurden, und um ein Vielfaches preiswerter. Ihre Honorarforderungen waren niedrig, weil sie ihre Preise einfach noch nicht kannten.
Preston hatte den Auftrag einer Presseagentur angenommen, eine Fotoserie über einen Hexensabbat anzufertigen. Soeben waren die Aufnahmen gemacht worden. Einen ganzen Tag hatten sie dafür gebraucht, waren sich gegenseitig auf die Nerven gegangen, hatten sich angeschrien, gelacht, geflucht, unter den
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