0367 - Schreckenstag
dem Gegenstand nicht. Er läßt sich manipulieren und hat nicht umsonst Würfel des Unheils geheißen. Denken Sie allein daran, daß er es geschafft hat, Jane Collins am Leben zu erhalten. Das ist schon mehr als unwahrscheinlich, sagenhaft oder unerklärlich. Wie schnell hat Jane es danach geschafft, sich an ihr Kunstherz zu gewöhnen. Ein Herz aus Aluminium! Der Würfel hat ihr zuvor sogar Lebenskraft gegeben, und so etwas ist auch für mich unbegreiflich. Da komme ich einfach nicht mit.«
Ich hob die Schultern. »Wir werden uns daran gewöhnen müssen, Sir. Wirklich.«
»Ich weiß nicht so recht. Seien Sie nur sehr vorsichtig mit allem, was diesen Würfel angeht!«
Shao beugte sich vor. »Darf ich?« fragte sie.
Ich lachte. »Natürlich.«
Vorsichtig legte sie beide Hände um die Flächen und hob den Würfel an. Auf ihren Lippen lag ein stolzes Lächeln, als sie auf die rotvioletten Seiten schaute und in das milchige Innere sah, indem die geheimnisvollen Schlieren wie kleine, erstarrte Stücke aus Eis lagen.
Dieser Würfel würde wohl immer ein Phänomen bleiben. Wir wußten zwar, woher er stammte, aber seine genauen Kräfte mußten wir erst noch entdecken. So wie Shao es versuchte.
Der Würfel stand noch auf dem Tisch, diesmal näher an der Kante, so daß Shao sich nicht vorzubeugen brauchte. Mit beiden Händen strich sie über die Oberfläche, und ihre Lippen bewegten sich dabei.
»Was hast du?« fragte Suko.
»Weißt du, es ist ein ganz eigenes Gefühl, den Würfel ertasten zu können. So etwas habe ich noch nie erlebt.«
»Wieso?«
Shao hob die Schultern. »So komisch, so anders. Ich habe das Gefühl, als wäre ich leichter geworden.«
»Das bildest du dir ein«, sagte ich.
»Nein, John, nein. Es ist so. Ich bin fest davon überzeugt, leichter geworden zu sein. Als würde ich über den Wolken schweben.«
»Höchstens über der Stuhlfläche«, sagte Suko und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.
Shao achtete nicht darauf. Sie kam mir irgendwie versunken vor.
Der Würfel übte eine Faszination auf sie aus, die bei uns nicht so zu erkennen gewesen war, denn auch wir hatten den Würfel schließlich schon oft genug in den Händen gehalten.
Hatte sich der Gegenstand vielleicht verändert? War auf seiner letzten Reise durch die geheimnisvolle Erdmagie irgend etwas mit ihm geschehen?
Genaueres wußte ich nicht, aber Shao schien dies anders zu empfinden, jedoch nicht negativ. Sie machte mir den Eindruck eines glücklichen Menschen, denn das Lächeln auf ihren Lippen wirkte wie festgefroren. Dabei schaute sie so starr auf den Würfel, als würde sie in seiner Fläche etwas erkennen. Ein Bild, das uns verschlossen blieb und nur ihr allein zugänglich war.
»Was ist denn, Shao?« erkundigte sich jetzt auch Suko.
»Es ist wunderbar«, hörten wir sie flüstern. »Alles wunderbar. Ich habe das Gefühl, in den Würfel eintauchen und wegfliegen zu können. Alles ist so leicht, so überschaubar, als hätte ich tatsächlich Flügel bekommen.«
»Laß es lieber sein.«
»Wie meinst du?«
»Stell bitte den Würfel weg.«
Shao schüttelte den Kopf. »Dann ginge das Gefühl ja verloren. Ich genieße es, denn ich bin eingebettet. Es ist wunderbar, den Würfel haben zu dürfen. Einfach phantastisch.«
Das gefiel mir gar nicht. Suko hatte ebenfalls einen skeptischen Blick bekommen. Auch wir hatten den Würfel während unserer Fahrt nach London getragen. So etwas, wie Shao es jetzt erlebte, war bei uns nicht vorgekommen. Klar, auch ich hatte mich gefreut. Das Gefühl jedoch entstammte einem völlig anderen Motiv. Es war die große Freude nach der langen Suche gewesen, während Shao einen anderen Grund haben mußte, der nicht unbedingt allein auf den Besitz des Würfels zurückzuführen war.
Vielleicht hätten wir ihn ihr wegnehmen müssen, aber das wollten wir auch nicht. So warteten wir zunächst einmal ab.
Noch immer schaute sie auf die Fläche. Verändert hatte sie sich äußerlich nicht. Nach wie vor zeigte sie uns das rotviolette Schimmern. Auch die Schlieren lagen unbeweglich in seinem Innern.
Weshalb diese Euphorie bei Shao?
Auch Suko und Sir James Powell blickten sie voller Skepsis an.
Shaos Augen bekamen einen gewissen Glanz, als würde sie Bilder sehen und erleben, die ihr etwas ungewöhnlich Schönes mit auf den Weg gaben.
»Der Würfel ist herrlich«, flüsterte sie. »Er ist wie ein Gegenstand aus dem Märchen.«
»Macht er dich glücklich?« fragte Suko.
»Ja, so ist es
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