0367 - Schreckenstag
richtig.«
»Und weshalb?«
»Ich kann es nicht so genau sagen, aber ich erlebe und sehe Bilder, die mir Spaß machen.«
»Welche?«
»Es ist nicht einfach, das zu erklären. Ich dachte vorhin an etwas für euch völlig Banales, aber für uns Frauen ist es wichtig, meine ich jedenfalls…«
»Woran denn?«
»An die Garderobe…«
Selbst Sir James, der eigentlich auf alles eine Antwort wußte, schaute überrascht. Er war es auch, der murmelte: »Garderobe? Das… das kann doch nicht wahr sein.«
»Es ist wahr«, flüsterte die Chinesin. »Neue Kleidung ist für mich wichtig. Ich bin eine Frau…«
»So meinst du das!« rief Suko. Er gab sich erleichtert.
Ich war es nicht, da ich darüber nachdachte, aus welchem Grund Shao, den Würfel und ihre Kleidung miteinander in Verbindung brachte. Da stimmte etwas nicht.
»Was ist mit dieser Kleidung? Wie kommst du gerade darauf?«
»Ich mußte an das Geschäft denken. In der Regent’s Street. Ich kenne es gut. Da ist eine Boutique. Ich hatte eigentlich hingewollt, um mir noch etwas für den Winter zu kaufen. Und jetzt komme ich mir vor, als wäre ich da. Das ist ein Gefühl wie…« Bisher hatte sie gelächelt. Schlagartig änderte sich ihr Gesichtsausdruck.
Ohne daß ein für uns erkennbarer Grund vorhanden war, wurden ihre Züge auf einmal starr. Die Augen schienen einzufrieren. Sie lagen in den Höhlen wie Klumpen, das Blut war aus den Wangen gewichen. Bleich wie eine Leiche hockte sie zwischen uns.
Das war natürlich auch Suko aufgefallen. »Was ist los?« rief er.
»Shao, bitte, antworte!«
»Alles ist anders.«
»Wie anders?«
»Ja, nur so. Ich merke etwas, das mich stört. Da ist eine andere Kraft. Ich weiß von ihr, aber…« Shao sprach nicht mehr weiter. Für einen Augenblick noch saß sie starr auf dem Stuhl. Dann ließ sie den Würfel so hastig los, als wäre er glühend heiß geworden, schüttelte den Kopf und preßte ihre Handflächen gegen die Wangen.
Suko war aufgesprungen. Er beugte sich über den Tisch. Ich schaute auf den Würfel, der keinerlei Zeichen irgendeiner Veränderung aufwies.
»Shao, was ist denn los?« rief mein Freund.
»O Gott«, stöhnte sie, und eine Gänsehaut rann über ihr Gesicht.
»O Gott, es ist schlimm.«
»Was ist schlimm?«
»Der Würfel hat mich betrogen. Er… er zeigte mir etwas Schreckliches. Es ist Schlimmes passiert!«
»Und wo?« fragte ich.
»In dem Laden, glaube ich. Ja, in dem Laden. Da ist plötzlich alles so anders.« Sie sprang in die Höhe. »Verletzte, Tote…« Ihr Gesicht verzerrte sich voller Abscheu, als sie den rechten Arm ausstreckte und der vorgeschobene Zeigefinger wie die Spitze eines Messers auf den Würfel deutete. »Er!« schrie sie. »Er ist schuld …«
***
Wir konnten es noch immer nicht fassen oder glauben. Shao schien wie von Sinnen zu sein. Wie konnte sie so etwas behaupten oder Lügen in die Welt setzen?
Waren es tatsächlich Lügen?
Ich wollte nicht daran glauben, da sie so echt reagiert hatte. Die Chinesin mußte etwas gesehen oder bemerkt haben, was uns verborgen geblieben war.
Dafür gab es nur einen Grund. Sie hatte den Würfel besessen, und er hatte ihr diese Dinge gezeigt.
Shaos Erklärungen hatten sich um Mode gedreht, um Kleider, und plötzlich war dieser Sinneswandel gekommen, der auch für mich unerklärbar war. Keiner verstand ihn.
Suko hatte es nicht an seinem Platz gehalten. Er war um den Eßtisch herumgegangen und gerade noch rechtzeitig gekommen, um Shao aufzufangen, die nach hinten kippte.
So hielt er sie fest.
Sie blickte ihn an. Von unten her sah sie in sein Gesicht und schüttelte den Kopf. Dabei bewegten sich ihre Lippen. Doch sie schwieg, obwohl es für uns wichtig war. Nur sie allein konnte uns eine Erklärung geben!
Ich lief und holte ein zweites Glas, das ich mit Whisky füllte.
»Wenn man nur wüßte, welches Geschäft sie gemeint hat«, sagte Sir James, wobei seine Worte mehr an Suko gerichtet waren. »Sie leben doch mit ihr zusammen. Wissen Sie es nicht?«
»Nein, tut mir leid. Shao kauft öfter ein…«
Ich reichte Suko das Glas, damit Shao mit seiner Hilfe einige Schlucke nehmen konnte. »Vielleicht weiß es Sheila. Die beiden gehen öfter zusammen einkaufen.«
»Das wäre eine Möglichkeit«, stimmte der Inspektor zu.
Bevor wir zum Telefon gingen, wollte ich abwarten und Shao erst richtig zur Besinnung kommen lassen. Möglicherweise konnte sie uns bessere Infos geben.
Sie schluckte den Whisky, hustete dabei, und das Zeug sprühte
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