037 - Das Geheimnis der Knochengruft
Figur, die sie machte, passte zu der Rolle, die sie
übernehmen sollte.
X-RAY-3 stand am Ausgang, als Morna in den bereitstehenden Wagen stieg, der
sie in die von ihr gemietete Wohnung in der Rue Gabriel brachte. Dort sollte
sie gegen zehn Uhr von einem Diener des Vicomte abgeholt werden.
»Adieu, Liebling«, hauchte die junge Schwedin, als sie den sprachlosen
Larry neben dem Türpfosten stehen sah. »Willst du mich nicht wenigstens zum
Abschied küssen?«
Sie inszenierte einen völlig verunglückten Augenaufschlag.
Larry leckte sich über die Lippen. »Ich kann verstehen, weshalb du so
vereinsamt bist, Kleine«, meinte er leise. »Du solltest etwas mehr für dich
tun. Eine bessere Frisur, ein gepflegtes Make-up – dann lässt dich bestimmt
dein Freund nicht wieder im Stich.«
Morna Ulbrandson warf ihm einen vernichtenden Blick zu, dann schlug sie die
Wagentür ins Schloss, und das Auto fuhr davon.
Larry verließ etwas später das Les
Baines und fragte sich, was hinter den Mauern des Schlosses geschah, in das
kein Außenstehender Einblick hatte.
Trotz der Vorbereitungen, die das erstaunliche Organisationstalent von
X-RAY-1 zeigten, waren die Ansatzpunkte spärlich. Die tödliche Gefahr, die für
Morna Ulbrandson bestand, war offensichtlich. Larry Brent spielte dieses Mal
wohl nur die zweite Geige. Doch da sollte er sich irren. Die Suche nach Claudia
Pascal sollte für ihn zu einem makabren Höhepunkt werden!
●
Nichts an ihrem Verhalten wies
darauf hin, dass sie diesen Ort schon einmal gesehen hatte. Morna Ulbrandson
fuhr in einem alten schwarzen Citroen zum Schloss. Der Chauffeur neben ihr war
der persönliche Diener des Vicomte de Moulliere.
Der Fahrer sprach während der Fahrt kaum zwei Worte. Er war mehr als
einsilbig, ein scheuer Mann in einem altmodischen Zweireiher.
Der Citroen wurde von dem Alten direkt auf das weite Tor zugesteuert. Aus
den Augenwinkeln heraus warf die Schwedin einen Blick auf die andere Seite des
Weges. Hier hatte sie in der vorletzten Nacht gekniet und mit einem Sterbenden
gesprochen.
Wortlos stieg der Fahrer aus, öffnete das Tor und drückte es zurück. Dann
fuhr er in den parkähnlichen Innenhof, hielt wieder an und schloss das Tor
hinter sich. Von dem Wohntrakt und den angrenzenden Wirtschaftsgebäuden war
nicht das Geringste zu sehen. Im ersten Augenblick wurde der Eindruck
vermittelt, als würde der breite Weg in den düsteren Wald führen.
Nach knapp hundert Metern Fahrt lichteten sich die Baumreihen. In dem
riesigen Park stand dunkel das alte Schloss mit den beiden Türmen und dem
langen, flachen, fensterlosen Anbau.
»Wir sind da, Mademoiselle«, sagte der Diener mit sonorer Stimme.
Diese Bemerkung nach der langen Zeit des Schweigens hätte er sich auch
sparen können, fand Morna und stieg aus dem Wagen. Der Diener begleitete sie zu
der breiten, ausgetretenen Treppe. Das Schloss machte einen verwitterten
Eindruck. Die Umgebung war gepflegt, der Rasen, die Bäume und die Büsche ließen
die Hand eines gewissenhaften Gärtners erkennen. Das Mauerwerk aber hätte
restauriert werden müssen. Morna Ulbrandson ließ ihre Blicke über die langen,
breiten Balkone gleiten und über die hohen, schweren Säulen, die das Dach über
dem Eingang stützten.
Der Empfangssaal war groß. Ein schwerer Kristalllüster hing von der Decke,
neben dem Treppenaufgang, der zu den oben gelegenen Räumen führte, standen zwei
blitzende Ritterrüstungen, und an den Wänden rundum hingen wertvolle Gemälde.
Es überwogen die Darstellungen düsterer, sturmgepeitschter Landschaften und
öder, zerfallener Häuser, denen etwas Unheimliches anhaftete. Der Vicomte schien
für diese Motive eine Schwäche zu haben. Oben an der Wand hinter dem
Treppenaufgang hingen Portraits, die offensichtlich die Vorfahren des Vicomte
zeigten – ernste Gesichter, bärtig, bleich, mit glühenden unangenehmen Augen.
Der Vicomte hatte vieles von seinen Vorfahren geerbt. Morna stellte dies
fest, als er ihr in dem Empfangsraum gegenübertrat und sie zum Sitzen
aufforderte. Er trug die typischen Merkmale aller Moullieres: strenge
Gesichtszüge, tief liegende, große Augen, in denen ein eigenwilliges Licht
glomm.
Sofort kam er auf das Wesentliche zu sprechen.
Morna musste noch einmal ihre Geschichte erzählen.
So erfuhr er, dass sie schon fast durch ganz Europa gereist war. Sie war
alleinstehend, befand sich erst seit wenigen Tagen in Paris und war auf der Suche
nach einer Stelle als Hausmädchen, als sie
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